Lügen, die wir Kindern erzählen
Paul Graham hat diesen grossartigen Essay geschrieben, der mir derart gut gefällt, dass ich ihn auf Deutsch übersetzt und hier publiziert habe. Das Original ist hier zu finden.
Mai 2008: Lügen, die wir Kindern erzählen (Paul Graham)
Erwachsene lügen Kinder dauernd an. Ich sage nicht, dass wir damit aufhören sollen. Aber wir sollten zumindest genau anschauen, welche Lügen wir unseren Kindern erzählen und warum.
Darin könnte auch für uns ein Vorteil liegen. Als Kinder wurden wir alle belogen, und einige der Lügen, die uns erzählt wurden, beeinflussen uns bis heute. Daher: Indem wir die Arten untersuchen, wie Erwachsene Kinder anlügen, schaffen wir es vielleicht, unseren Kopf von den Lügen, die uns selbst erzählt wurden, zu befreien.
Ich benutze das Wort “Lüge” in sehr allgemeinem Sinn. Nicht nur offene Unwahrheit, sondern auch die subtileren Arten, wie wir Kinder in die Irre führen. Obwohl “Lüge” negative Konnotationen hat, will ich nicht sagen, dass wir das niemals tun dürfen — nur dass wir uns genau überlegen sollten, wann und warum wir es tun. [1]
Etwas vom Bemerkenswertesten daran, wie wir Kinder belügen, ist, wie breit die Verschwörung ist. Alle Erwachsenen wissen, worüber ihre Kultur Kinder belügt: Es sind diejenigen Fragen, auf die du “Frage deine Eltern” antwortest. Wenn dich ein Kind fragt, wer die WM 1982 gewonnen hat, oder welches das Atomgewicht von Kohlenstoff ist, dann könntest du es ihm einfach sagen. Wenn ein Kind hingegen fragt: “Gibt es einen Gott?” oder “Was ist eine Prostituierte?” dann wirst du wahrscheinlich sagen “Frag deine Eltern.”
Da wir uns alle einig sind, sehen Kinder kaum Lücken in der Sicht der Welt, wie sie ihnen dargeboten wird. Die grössten Widersprüche gibt es zwischen Eltern und Schulen, aber selbst die sind eher geringfügig. Schulen sind vorsicht in dem, was sie über kontroverse Themen sagen, und falls sie tatsächlich dem widersprechen, was die Eltern ihre Kinder glauben machen wollen, dann werden sie von den Eltern unter Druck gesetzt, zu schweigen, oder die Eltern schicken ihre Kinder schlicht auf eine andere Schule.
Die Verschwörung ist derart dicht gewoben, dass die meisten Kinder, die sie entdecken, dies nur deswegen schaffen, weil sie innere Widersprüche aufdecken in dem, was ihnen erzählt wird. Es kann traumatisch sein für diejenigen, die während der Operation aufwachen. So hat es Einstein erlebt:
Durch die Lektüre von populären wissenschaftlichen Büchern kam ich zu der Erkenntnis, dass vieles von dem, was in der Bibel steht, schlicht nicht stimmen kann. Die Konsequenz war ein positives, fanatisches Freidenken, gekoppelt mit dem Eindruck, dass die Jugend absichtlich vom Staat durch Lügen getäuscht wird: Das war ein niederschmetternder Eindruck. [2]
Ich erinnere mich an dieses Gefühl. Um 15 war ich überzeugt davon, dass Welt von A bis Z korrupt ist. Deshalb haben Filme wie Die Matrix so viel Resonanz. Jedes Kind wächst in einer vorgetäuschten Welt auf. Es wäre irgendwie einfacher, wenn die dahinterstehenden Kräfte so klar differenziert werden könnten wie ein Haufen teuflischer Maschinen, und wenn man einen sauberen Schnitt machen könnte, indem man die blaue Pille schluckt.
Schutz
Wenn man Erwachsene fragt, warum sie Kinder anlügen, dann ist der meistgehörte Grund der, dass sie sie beschützen wollen. Und Kinder müssen geschützt werden. Die Umgebung, die du für ein Neugeborenes aufbaust, wird sehr anders aussehen als die Strassen einer Grossstadt.
Das scheint so offensichtlich zu sein, dass es auch falsch erscheint, es eine Lüge zu nennen. Es ist bestimmt keine schlechte Lüge, einem Baby den Eindruck zu vermitteln, dass die Welt still und warm und sicher ist. Doch diese harmlose Art Lüge kann sauer werden, wenn sie unüberprüft bleibt.
Stellen Sie sich vor, wenn sie jemanden in einer derart beschützten Umgebung bewahren bis er 18 ist. Jemanden derart über die Natur der Welt zu täuschen erscheint weniger als Schutz denn als Missbrauch. Das ist natürlich ein extremes Beispiel. Wenn Eltern etwas derartiges tun, dann kommt es in allen Zeitungen. Aber man sieht dasselbe Problem in kleinerem Massstab im Malaise, das Teenager in der Vorstadt fühlen.
Der Hauptzweck von Vorstädten ist es, eine geschützte Umgebung zu bilden, in der Kinder aufwachsen können. Und es scheint grossartig zu sein für 10-jährige. Ich liebte es, in der Vorstadt zu leben, als ich 10 war. Ich merkte damals nicht, wie steril es war. Meine Welt war nicht grösser als bis zu den Häusern der paar Freunde, dich ich mit dem Fahrrad besuchte, und der paar Wäldchen, in denen ich herumstreunte. Im grossen Massstab gesehen war ich irgendwo zwischen Krippe und Globus. Eine Vorstadtstrasse hatte genau die richtige Grösse. Aber je älter ich wurde, desto mehr fühlte sich die Vorstadt erstickend falsch an.
Das Leben kann mit 10 oder 20 ziemlich gut sein. Aber mit 15 ist es häufig äusserst frustrierend. Dieses Problem ist zu gross, um hier gelöst zu werden, aber einer der Gründe, weshalb das Leben für einen 15-jährigen schrecklich ist, ist sicherlich, dass er in einer Welt, die für 10-jährige gemacht ist, gefangen ist.
Wovor, hoffen Eltern, können sie ihre Kinder beschützen, indem sie sie in einer Vorstadt aufwachsen lassen? Eine Freundin, die Manhattan verliess, sagte dazu einfach, dass ihre 3‑jährige Tochter “zuviel gesehen” habe. Spontan fällt mir dazu ein: Leute, die betrunken oder unter Drogen sind, Armut, Wahnsinn, grauenvolle medizinische Bedingungen, sexuelles Verhalten unterschiedlichen Grades von Seltsamkeit, und gewalttätige Wut.
Ich denke, es wäre die Wut, die mir am meisten Sorgen machen würde, hätte ich einen Dreijährigen. Ich war 29 als ich nach New York zog. Und selbst dann war ich überrascht. Ich möchte nicht, dass ein Dreijähriger einige der Streitereien mitansehen muss, die ich miterlebte. Es wäre zu furchterregend. Viele der Dinge, die Erwachsene vor Kindern verborgen halten, halten sie deswegen fern von ihnen, weil sie furchterregend sind, nicht weil sie deren Existenz geheim halten wollen. Das Kind in die Irre zu führen ist nur ein Nebenprodukt.
Dies scheint eine der berechtigtsten Lügen zu sein, die Erwachsene gegenüber Kindern anwenden. Aber da die Lügen indirekt sind, führen wir nicht so genau Buch darüber. Eltern wissen sehr wohl, dass sie ihren Kindern die Fakten über Sex vorenthalten haben, und manchmal setzen sie sich auch mit ihren Kindern hin und erklären ihnen mehr. Aber nur wenige erzählen ihren Kindern die Unterschiede zwischen der realen Welt und dem Kokon, in dem sie aufgewachsen sind. Dies, kombiniert mit dem Selbstwertgefühl, das Eltern gerne ihren Kindern anerziehen, führt dazu, dass jedes Jahr eine neue Ernte von 18-jährigen heranwächst, die denken, sie wüssten, wie der Hase läuft und die Welt gehöre ihnen.
Denken nicht alle 18-jährigen, sie wüssten wie die Welt am Besten zu funktionieren habe? Genau genommen ist dies ein eher junges Phänomen, nicht älter als etwa 100 Jahre. In der vorindustriellen Zeit waren Teenager Juniormitglieder der Erwachsenenwelt und sich vergleichsweise ihrer Defizite ziemlich gut bewusst. Sie konnten klar sehen, dass sie nicht so stark oder geschickt waren wie der Dorfschmied. In vergangenen Zeiten haben die Leute über gewisse Dinge mehr gelogen zu ihren Kindern als wir heute. Aber diejenigen Lügen, die implizit in einer beschützten, künstlichen Umwelt enthalten sind, sind eine neue Erfindung. Wie viele neue Erfindungen, haben die Reichen sie sich zuerst angeeignet. Kinder von Königen und grossen Magnaten sind die ersten, die ohne jeden Kontakt zur Welt aufgewachsen sind. Vorstädte bedeuten, dass die halbe Bevölkerung in dieser Beziehung wie Könige leben kann.
Sex (und Drogen)
Ich hätte andere Sorgen, wenn ich meine Teenage-Kinder in New York aufwachsen sehen müsste. Ich würde mich weniger um das sorgen, was sie sehen, sondern vielmehr um das, was sie tun könnten. Ich bin mit vielen Jungs ins College gegangen, die in Manhatten aufgewachsen waren, und im allgemeinen schienen sie ziemlich abgestumpft zu sein. Sie schienen ihre Unschuld mit ungefähr 14 verloren zu haben, und bis zum College hatten sie mehr Drogen probiert, als ich je davon gehört hatte.
Die Gründe, warum Eltern nicht wollen, dass ihre Kinder Sex haben, sind komplex. Es gibt einige offensichtliche Gefahren: Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten. Aber das sind nicht die einzigen Gründe, weshalb Eltern nicht wollen, dass ihre Kinder Sex haben. Die durchschnittlichen Eltern einer 14-jährigen würden die Idee, dass sie Sex hat, hassen, selbst wenn es keinerlei Risiko von Schwangerschaft oder Geschlechtskrankheiten gäbe.
Was genau ist es denn, was Eltern so sehr am Gedanken stört, ihre Kinder könnten Sex haben? Ihre Abneigung dagegen ist dermassen stark, dass sie wahrscheinlich angeboren ist. Aber wenn es angeboren ist, dann sollte es universal sein. Es gibt jedoch genügend Gesellschaften, in denen die Eltern kein Problem mit Teenage-Sex haben — wo es sogar normal ist, dass 14-jährige Mütter werden. Was also geht hier vor? Es scheint ein universelles Tabu zu geben gegen Sex mit vorpubertären Kindern. Dafür kann man sich evolutionäre Gründe vorstellen. Und ich denke, dass dies der Hauptgrund ist für die Abneigung von Eltern in industrialisierten Gesellschaften dagegen ist, dass ihre Teenage-Kinder Sex haben. Sie denken immer noch, sie seien Kinder, obwohl sie es biologisch gesehen nicht mehr sind, weswegen das Tabu gegen Sex mit Kindern immer noch wirkt.
Etwas verbergen Eltern am Sex genauso wie an den Drogen: Dass sie grosses Vergnügen bereiten können. Das ist das, was Sex und Drogen so gefährlich macht. Das Begehren danach kann einem die Sinne vernebeln und das Urteilsvermögen einschränken — was besonders beängstigend ist, wenn es sich dabei um das, gelinde gesagt, noch nicht sehr ausgeprägte Urteilsvermögen eines Teenagers handelt.
Wenn Eltern ihren Kindern die Wahrheit über Sex und Drogen verraten würden, dann wäre sie: Der Grund, weshalb du diese Dinge vermeiden sollst, ist dein lausiges Urteilsvermögen. Leute mit doppelt so viel Erfahrung wie du verbrennen sich immer noch damit. Doch dies wird einer der Fälle sein, wo die Wahrheit wenig Ãœberzeugungskraft hat, weil eines der Merkmale schlechten Urteilsvermögens ist es, zu glauben, man hätte gutes. Wenn du zu schwach bist, etwas zu heben, dann merkst du das. Doch wenn du eine heftige Entscheidung triffst, bist du dir dessen nur umso sicherer.
Unschuld
Ein weiterer Grund, weshalb Eltern nicht wollen, dass ihre Teenage-Kinder Sex haben, ist der, dass sie wollen, dass sie unschuldig bleiben. Erwachsene haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie sich Kinder verhalten sollen, und die sieht anders aus als bei Erwachsenen.
Einer der offensichtlichsten Unterschiede bezieht sich auf die Worte, die Kinder benutzen dürfen. Die meisten Eltern benutzen, wenn sie mit anderen Erwachsenen sprechen, Worte, von denen sie nicht möchten, dass ihre Kinder sie in den Mund nehmen. Sie versuchen sogar die Existenz dieser Wörter vor ihren Kindern so lange es geht zu verheimlichen. Und das ist auch so eine Verschwörung, an der alle teilhaben: Jeder weiss, dass man nicht vor Kindern fluchen soll.
Nie habe ich unterschiedlichere Erklärungen gehört als dann, als es darum ging, den Kindern zu erklären, warum sie nicht fluchen sollen. Jeder Vater, jede Mutter die ich kenne verbietet seinen Kindern das Fluchen, und doch haben keine zwei dieselben Begründung. Es ist ganz klar: Die meisten fangen damit an, ihren Kindern das Fluchen zu verbieten. Und erst danach legen sie sich eine Begründung zurecht.
Deshalb ist meine Theorie, dass die Funktion des Fluchens ist, den Sprecher als Erwachsenen zu kennzeichnen. Es keinen bedeutsamen Unterschied zwischen “Scheisse” und “Pupu”. Warum also soll das eine für den kindlichen Sprachgebrauch in Ordnung sein und das andere verboten? Die einzige Erklärung lautet: Per Definition. [3]
Warum stört es Erwachsene so sehr wenn Kinder Dinge tun, die Erwachsenen vorbehalten sind? Die Vorstellung eines unflätigen, zynischen 10-jährigen, der sich mit einer Zigarettenkippe lässig aus dem Mundwinkel hängend an einen Laternenpfahl lehnt ist sehr beunruhigend. Aber warum?
Der Grund weshalb wir unsere Kinder unschuldig wollen ist der, dass wir darauf programmiert sind, gewisse Arten von Hilflosigkeit zu mögen. Bei mehreren Gelegenheiten habe ich Mütter sagen gehört, dass sie bewusst darauf verzichtet haben, falsche Aussprachen ihrer Kleinkinder zu korrigieren, weil sie so niedlich seien. Und wenn man darüber nachdenkt, dann bedeutet Niedlichkeit nichts anderes als Hilflosigkeit. Spielzeuge und Zeichentrickfiguren, die niedlich sein sollen, haben immer diesen ahnungslosen Gesichtsausdruck und untersetzte, untaugliche Gliedmassen.
Es ist keine Ãœberraschung, dass wir eine angeborene Sehnsucht haben, hilflose Kreaturen zu lieben und zu beschützen, angesichts dessen, dass menschliche Sprösslinge tatsächlich so lange Zeit dermassen hilflos sind. Ohne die Hilflosigkeit, die Kinder niedlich macht, wären sie äusserst lästig. Dann würden sie bloss wie inkompetente Erwachsene wirken. Aber da steckt noch mehr dahinter. Der Grund, weshalb mich der hypothetische abgestumpfte 10-jährige so stört, ist nicht nur, dass er dann lästig wäre, sondern dass er so früh seine Wachstumsaussichten beschnitten hätte. Um abgestumpft zu sein, muss man denken, man wisse, wie die Welt funktioniert, und jede Theorie, die ein 10-jähriger diesbezüglich haben könnte, wird wahrscheinlich ziemlich eingeschränkt sein.
Unschuld ist also auch Aufgeschlossenheit. Wir wollen, dass Kinder unschuldig sind, damit sie weiterhin lernen können. So paradox es klingt, es gibt Arten von Wissen, die anderen Arten von Wissen in die Quere kommt. Wenn du lernen wirst, dass die Welt ein brutaler Ort ist, voller Menschen, die versuchen, einander zu übervorteilen, dann solltest du das besser erst als letztes lernen. Anderenfalls wird dich weiteres Lernen kaum noch interessieren.
Sehr gescheite Erwachsene scheinen häufig ungewöhntlich unschuldig, und ich denke nicht, dass das ein Zufall ist. Ich denke, dass diese Menschen bewusst gewisse Dinge zu lernen vermieden haben. Ich selber ganz bestimmt. I dachte mal, dass ich alles wissen will. Heute weiss ich, dass dem nicht so ist.
Tod
Nach dem Sex ist der Tod das Thema, über das Erwachsene am verschwörerischsten lügen gegenüber Kindern. Sex, denke ich, verstecken sie aufgrund tiefsitzender Tabus. Aber warum verstecken wir den Tod vor den Kindern? Wahrscheinlich deswegen, weil kleine Kinder von ihm besonders entsetzt sind. Sie wollen sich sicher fühlen, und der Tod ist die fürchterlichste Bedrohung, die es gibt.
Eine der spektakulärsten Lügen, die uns unsere Eltern vorsetzten, ging um den Tod unserer ersten Katze. Ãœber die Jahre, während wir nach mehr Details fragten, mussten sie immer mehr hinzuerfinden, und so wuchs sich die Geschichte zu etwas ziemlich ausgeklügeltem aus. Die Katze starb in der Tierarztpraxis. Woran? An der Anästhesie. Warum war die Katze beim Tierarzt? Um zu gesunden. Und warum hatte sie ein solcher Routineeingriff umgebracht? Es war nicht der Fehler des Tierarztes; die Katze hatte ein angeborenes schlechtes Herz; die Anästhesie war zu stark für sie; aber das hatte keiner im voraus wissen können. Erst als wir unsere zwanziger erreicht hatten, kam die Wahrheit ans Tageslicht: Meine Schwester, damals etwa drei, war versehentlich auf sie draufgetreten und hatte ihr den Rücken gebrochen.
Sie hatten nicht das Bedürfnis, uns zu sagen, dass die Katze nun glücklich war im Katzenhimmel. Meine Eltern haben nie behauptet, dass verstorbene Menschen oder Tiere “an einen besseren Ort gegangen” seien, oder dass wir ihnen wieder begegnen würden. Das schien uns nicht geschadet zu haben.
Meine Grossmutter erzählte uns eine redigierte Version des Todes meines Grossvaters. Sie sagte, sie eines Tages lesend nebeneinander gesessen, und als sie etwas zu ihm sagte, hätte er keine Antwort gegeben. Er schien zu schlafen, aber als sie ihn zu wecken versuchte, schaffte sie das nicht. “Er war weg.” Einen Herzanfall zu haben klang nach einschlafen. Später hörte ich, dass es nicht ganz so nett war, und dass der Herzanfall fast den ganzen Tag gebraucht hatte, um ihn umzubringen.
Nebst solch unverblümten Lügen muss es auch jede Menge Themenwechsel gegeben haben, wenn die Sprache auf den Tod kam. Ich erinnere mich daran natürlich nicht, aber ich leite es aus der Tatsache ab, dass ich nicht wirklich kapierte, dass auch ich irgendwann sterben würde, bis ich ungefähr 19 war. Wie konnte ich etwas derart offensichtliches so lange Zeit verpassen? Jetzt, wo ich Eltern dabei erlebe, wie sie mit dem Thema umgehen, sehe ich, wie: Fragen über den Tod werden sanft, aber fest abgewehrt.
Besonders bei diesem Thema kommen ihnen die Kinder auf halbem Weg entgegen. Kinder wollen öfter angelogen werden. Sie wollen glauben, dass sie in einer angenehmen, sicheren Welt leben, genau so sehr wie ihre Eltern möchten, dass sie das glauben. [4]
Identität
Manche Eltern fühlen eine starke Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder religiösen Gruppe, und wollen, dass ihre Kinder sich ebenfalls zugehörig fühlen. Dies erfordert üblicherweise zwei Arten von Lügen: Das erste ist, dass dem Kind gesagt wird, er oder sie sei ein X, und das zweite ist, was auch immer für Spezifika die Xe glauben, was sie von anderen unterscheidet. [5]
Einem Kind zu sagen, was es für eine besondere ethnische oder religiöse Identität habe, ist etwas vom langanhaftendsten, was man ihnen sagen kann. Fast alles andere, was du einem Kind erzählst, kann das Kind selber ändern wenn es einmal anfängt, selber zu denken. Aber wenn du einem Kind sagst, es gehöre zu einer bestimmten Gruppe, dann scheint dies fast unmöglich zu erschüttern zu sein.
Dies trotz der Tatsache, dass dies eine der vorsätzlichsten Lügen sein kann, die Eltern erzählen. Wenn Eltern von unterschiedlicher Religion sind, dann einigen sie sich häufig, dass ihre Kinder “als Xe erzogen” werden. Und es funktioniert. Die Kinder wachsen folgsam auf und betrachten sich als Xe, trotz der Tatsache, dass, wenn sich seine Eltern anders entschieden hätten, sie aufgewachsen wären im Glauben, sie seien Ye.
Ein Grund, warum dies so gut funktioniert, ist die zweite Art Lüge. Die Wahrheit ist Allgemeingut. Du kannst dich und deine Gruppe nicht abgrenzen, indem ihr rationale Dinge tut, und indem ihr Dinge glaubt, die wahr sind. Wenn du dich von anderen Menschen absetzen willst, dann musst du Dinge tun, die willkürlich sind, und Dinge glauben, die falsch sind. Und nachdem sie ihr ganzes Leben damit verbracht haben, Dinge zu tun, die willkürlich sind, und Dinge zu glauben, die falsch sind, und von “Aussenseitern” diesbezüglich als sonderbar betrachtet worden zu sein, muss die kognitive Dissonanz, die dazu treibt, Kinder dazu zu bringen, sich als Xe zu betrachten, riesig sein. Wenn sie kein X sind, warum hängen sie dann an all diesen willkürlichen Glaubenssätzen und Gebräuchen?‘Wenn sie kein X sind, warum werden sie dann von allen nicht‑X so genannt?
Diese Form der Lüge ist nicht ohne Nutzen. Man kann sie dazu einsetzen, eine ganze Ladung nützlichen Glaubens zu übertragen, und diese wird dazu noch ein Teil der kindlichen Identität werden. Du kannst dem Kind sagen, dass, abgesehen davon dass sie niemals gelb tragen, zu glauben, die Welt sei von einem Riesenhasen erschaffen worden, vor dem Fisch essen immer mit den Fingern zu schnalzen, seien Xe ausserdem besonders ehrlich und fleissig. Dann wachsen X‑Kinder mit dem Glauben auf, zu ihrer Identität gehöre Ehrlichkeit und Fleiss.
Dies ist vermutlich der Grund, weshalb sich die modernen Religionen dermassen ausgebreitet haben, und erklärt, warum ihre Doktrin eine Kombination des Nützlichen und des Bizarren ist. Das Bizarre ist jene Hälfte, die dafür sorgt, dass die Religion haften bleibt, und die Nützliche Hälfte ist die Ladung. [6]
Autorität
Einer der am wenigsten entschuldbaren Gründe, dass Erwachsene Kinder anlügen, ist, Macht über sie zu haben. Manchmal sind diese Lügen echt böse, wie etwa wenn der Belästiger dem Kind sagt, dass es Ärger kriegt, wenn es jemandem erzählt, was ihm gerade zugestossen ist. Andere scheinen unschuldiger. Es hängt davon ab, wie schlimm Erwachsene lügen um ihre Macht zu bewahren, und wozu sie diese Macht einsetzen.
Die meisten Erwachsenen machen gewisse Bemühungen, ihre Schwächen vor Kindern zu verstecken. Gewöhnlich sind ihre Motive gemischt. Zum Beispiel versteckt ein Vater, der eine Affäre hat, diese Tatsache gewöhnlich vor seinen Kindern. Seine Motivation ist teilweise, dass ihnen das Angst machen würde, teilweise weil dies zum Thema Sexualität führen würde, und teilweise (und zwar zu einem grösseren Teil als er gerne zugeben würde), weil er sich vor ihnen keine Blösse geben will.
Wenn du lernen willst, welche Art von Lügen Kindern erzählt werden, dann musst di fast alle diese Bücher lesen, die mit der Absicht geschrieben wurden, ihnen “Themen” beizubringen. [7] Peter Mayle hat eines geschrieben mit dem Titel Warum lassen wir uns scheiden? Es beginnt mit den drei wichtigsten Dingen einer Scheidung. Eines davon ist:
Du solltest nie einem einzigen Elternteil die Schuld geben, weil eine Scheidung nie nur der Fehler einer einzigen Person ist. [8]
Tatsächlich? Wenn ein Mann mit seiner Sekretärin durchbrennt, ist es dann immer auch zum Teil die Schuld seiner Frau? Aber ich kann durchaus sehen, warum Mayle dies gesagt hat. Vielleicht ist es wichtiger, dass Kinder ihre Eltern respektieren, als dass sie die Wahrheit über sie wissen.
Aber weil Erwachsene ihre Schwächen verstecken, und weil sie gleichzeitig auf hohen Verhaltensstandards für Kinder bestehen, wachsen viele Kinder mit dem Gefühl auf, hoffnungslose Defizite zu haben. Sie laufen mit furchtbaren Schuldgefühlen herum, weil sie mal wieder ein Fluchwort benutzt haben, während in der Tat die meisten Erwachsenen um sie herum noch viel schlimmere Dinge tun.
Dies geschieht sowohl in intellektuellen, als auch in moralischen Fragen. Je selbstbewusster die Leute sind, desto mehr scheinen sie die Freiheit zu haben, eine Frage mit “Ich weiss nicht” zu beantworten. Weniger selbstbewusste Menschen denken, dass sie unbedingt eine Antwort geben müssten, weil sie sonst schlecht dastehen würden. Meine Eltern waren ziemlich gut darin, zuzugeben, wenn sie etwas nicht wussten, aber mir müssen ziemlich viele solcher Lügen aufgetischt worden sein von Lehrern, weil ich selten einen Lehrer habe “das weiss ich nicht” sagen hören, bis ich ins College ging. Ich erinnere mich so genau daran, weil es so überraschend war, jemand dies vor der ganzen Klasse sagen zu hören.
Den ersten Hinweis darauf, dass Lehrer nicht allwissend sind, bekam ich in der sechsten Klasse, nachdem mein Vater bei etwas, was ich in der Schule gelernt hatte, widersprochen hatte. Als ich protestierte, dass der Lehrer das Gegenteil gesagt hatte, antworte mein Vater, dass der Kerl nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach — dass er letztlich nur ein Primarschullehrer sei.
Nur ein Lehrer? Der Satz schien mir damals fast grammatikalisch falsch formuliert. Wussten Lehrer denn nicht alles über die Themen, die sie lehrten? And wenn nicht, warum waren sie dann diejenigen, die uns lehrten?
Die traurige Tatsache ist, dass Lehrer der amerikanischen öffentlichen Schule ganz allgemein das Material, das sie lehren, eher schlecht beherrschen. Es gibt ein paar löbliche Ausnahmen, aber in der Regel sind Leute, die in die Lehre gehen wollen, akademisch eher am unteren Ende der College-Absolventen anzusiedeln. Daher zeigt die Tatsache, dass ich mit 11 immer noch dachte, dass Lehrer unfehlbar seien, was für einen gründlichen Arbeit das System mit meinem Hirn geleistet hat.
Schule
Was Kindern in der Schule beigebracht wird ist eine komplexe Mischung von Lügen. Die entschuldbarsten sind diejenigen, die erzählt werden, um Ideen zu vereinfachen, um sie leichter erlernbar zu machen. Das Problem ist, dass viel Propaganda in den Lehrplan hineingeschmuggelt wird im Namen der Vereinfachung.
Schulbücher repräsentieren einen Kompromiss zwischen dem, was verschiedene Gruppen den Kindern beigebracht haben wollen. Die Lügen sind selten offenkundig. Gewöhnlich bestehen sie entweder aus Auslassungen, oder aus Ãœberbetonungen gewisser Themen auf Kosten anderer. Die Sicht auf Geschichte, die wir in der Primarschule bekamen, war eine rohe Hagiographie, mit mindestens einem Vertreter jeder machtvollen Gruppe.
Die berühmten Wissenschaftler, an die ich mich erinnere, sind Einstein, Marie Curie und George Washington Carver. Einstein war eine grosse Sache, weil seine Arbeit zur Atombombe führte. Marie Curie hatte mit Röntgenstrahlen zu tun. Aber Carver hat mich verwirrt. Er schien irgendwelche Dinge mit Erdnüssen angestellt zu haben.
Es ist heute offensichtlich, dass er auf der Liste war, weil er schwarz war (und Marie Curie war auf der Liste, weil sie eine Frau war), aber als Kind war ich jahrelang verwirrt deswegen. I frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, uns ganz einfach die Wahrheit zu sagen: Dass es keine berühmten schwarzen Wissenschaftler gab. George Washington Carver auf dieselbe Ebene wie Einstein zu heben hat uns nicht nur in Bezug auf die Wissenschaft irregeleitet, sondern auch bezüglich der Hürden, die Schwarze damals zu überwinden hatten.
Während die Themen sanfter wurden, wurden die Lügen häufiger. Zu der Zeit, als wir zu Politik und aktueller Geschichte kamen, war das, was uns beigebracht wurde, fast reine Propaganda. Zum Beispiel wurde uns beigebracht, die politischen Führer als Heilige zu betrachten — besonders Kennedy und King, die erst vor kurzem den Märtyrertod gestorben waren. Es war erstaunlich, später zu lernen, dass beide notorische Schürzenjäger waren, und dass Kennedy ein ganz besonderer Wüstling war (zu der Zeit, als King’s Plagiarismus zum Vorschein kam, hatte ich die Fähigkeit, von den schlechten Taten berühmter Leute überrascht zu werden, bereits verloren).
Ich bezweifle, dass man Kindern aktuelle Geschichte beibringen kann, ohne ihnen Lügen zu erzählen, weil praktisch jeder, der in diesem Bereich irgend etwas zu sagen hat, seinen besonderen Dreh dazuzugeben hat. Die aktuellste Geschichte besteht nur noch aus Dreh. Wahrscheinlich wäre es das Beste, nur noch solche Meta-Fakten zu lehren.
Die wahrscheinlich grösste Lüge, die in Schulen gelehrt wird, ist allerdings, dass der Weg zum Erfolg durch das Befolgen von “den Regeln” führt. Genau genommen sind die meisten dieser Regeln nur zusammengestoppelt, um grosse Gruppen effizient zu managen.
Frieden
Von all den Gründen, weshalb wir Kinder anlügen, ist der mächtigste wahrscheinlich derselbe banale Grund, warum sie uns anlügen.
Häufig, wenn wir Menschen anlügen, ist es nicht teil einer bewussten Strategie, sondern weil sie auf die Wahrheit heftig reagieren würden. Kinder, fast definitionsgemäss, geht die Selbstkontrolle ab. Sie reagieren heftig auf die Dinge — und deshalb werden sie auch häufig angelogen. [9]
Vor ein paar Thanksgivings hat sich ein Freund von mir in einer Situation wiedergefunden, die auf perfekte Weise die komplexen Motive illustriert, die wir haben, wenn wir Kinder anlügen. Während der gebratene Truthahn auf dem Tisch auftauchte, fragte sein erschreckend scharfsinniger 5‑jähriger Sohn plötzlich, ob der Truthahn eigentlich freiwillig gestorben sei. Die Katastrophe voraussehen, beeilten sich mein Freund und seine Frau rasch, zu improvisieren: Ja, der Truthahn wollte freiwillig sterben, und in der Tat hatte sein ganzes Leben mit dem Wunsch verbracht, ein Thanksgiving-Essen sein zu dürfen. Und das (Uff!) war das Ende davon.
Wann immer wir Kinder anlügen, um sie zu beschützen, lügen wir vermutlich ebenso sehr um den Frieden zu bewahren.
Eine Konsequenz dieser Art von beruhigender Lüge ist die, dass wir aufwachsen mit dem Gedanken, dass ganz furchtbare Dinge ganz normal sind. Es fällt uns schwer, über etwas, wo wir buchstäblich darauf trainiert wurden, uns keine Sorgen zu machen, ein Gefühl von Dringlichkeit zu verspüren wie Erwachsene. Als ich etwa 10 war sah ich eine Dokumentation über Umweltverschmutzung, die mich in Panik versetzte. Es schien, als ob der Planet unwiederbringlich ruiniert war. Ich ging danach zu meiner Mutter, um sie zu fragen, ob dem tatsächlich so sei. Ich erinnere mich zwar nicht an ihre Antwort, aber ich fühlte mich wieder besser, und so hörte ich auf, mir Sorgen zu machen.
Das war wahrscheinlich die beste Art, mit einem veängstigten 10-jährigen umzugehen. Aber wir sollten den Preis dafür verstehen. Diese Art Lüge ist einer der Hauptgründe, warum die Dinge so bleiben, wie sie sind: Wir wurden alle darauf trainiert, sie zu ignorieren.
Entgiftung
Ein Sprinter geht in einem Rennen fast sofort in einen Zustand über, der “Sauerstoffmangel” genannt wird. Sein Körper schaltet auf eine Notenergieversorgung um, die schneller ist als die reguläre aerobische Athmung. Doch dieser Prozess bildet Abfallprodukte, die letzlich zusätzlichen Sauerstoff erfordern, um sie loszuwerden, weswegen er am Ende des Rennens anhalten und eine Weile nach Luft ringen muss um sich wieder zu erholen.
Wir leiden bei Erreichen des Erwachsenenalters unter einer Art Wahrheitsmangel. Es wurden uns viele Lügen erzählt, um uns (und unsere Eltern) durch unsere Kindheit hindurch zu bringen. Einige davon waren vielleicht notwendig. Einige wahrscheinlich nicht. Aber wir erreichen alle das Erwachsenenalter mit einem Kopf voller Lügen.
Es gibt niemals den Zeitpunkt, wo die Erwachsenen sich mit einem hinsetzen und uns all die Lügen, die sie uns erzählt haben, erklären. Sie haben die meisten vergessen. Daher: Wenn du diese Lügen aus deinem Kopf hinausbefördern willst, dann wirst du das selber tun müssen.
Wenige tun das. Die meisten Menschen gehen durchs Leben mit Stücken von Verpackungsmaterial, das an ihrem Verstand kleben geblieben ist, und merken es gar nicht. Wahrscheinlich ist es gar nicht möglich, alle Wirkungen, die Lügen, die uns als Kind erzählt wurden, auf uns haben, komplett aufzuheben. Aber es ist es wert, es wenigstens zu versuchen. Meine eigene Erkenntnis war, dass, wenn immer ich es schaffte, eine Lüge, die mir erzählt worden war, aus dem Weg zu schaffen, dass dann viele Dinge wie von selbst an ihren richtigen Ort rücken.
Glücklicherweise bekommst du eine wertvolle neue Ressource, sobald du die Erwachsenengrenze überschreitest, die du dazu benützen kannst, die Lügen, die dir erzählt worden sind, aufzudecken. Du bist jetzt selber einer der Lügner. Du bist jetzt in der Lage, in den Kulissen zu beobachten, wie die Erwachsenen die Welt verdrehen für die nächste Generation von Kindern.
Der erste Schritt, einen klaren Kopf zu bekommen, ist, zu erkennen, wie weit du davon entfernt bist, ein neutraler Beobachter zu sein. Als ich die High School verliess, dachte ich, ich sei ein kompletter Skeptiker. Ich hatte erkannt, dass die High School Schrott ist. Ich dachte, ich sei bereit, alles zu hinterfragen, was ich wusste. Aber unter vielen anderen Dingen war ich völlig ahnungslos, wie viele Trümmer sich bereits in meinem Kopf befanden. Es genügt nicht, deinen Verstand als leere Tafel zu verstehen. Du musst sie bewusst auslöschen.
Anmerkungen
[] Einer der Gründe, weshalb ich bei einem so grausam einfachen Wort geblieben bin, ist, dass die Lügen, die wir unseren Kindern erzählen, wahrscheinlich gar nicht so harmlos sind, wie wir denken. Wenn man sich anschaut, was Erwachsene früher Kindern erzählt haben, ist es schockierend, wie sehr sie sie belogen haben. Wie wir haben sie es mit den besten Absichten getan. Wenn wir daher denken, wir seien so offen wie man vernünftigerweise mit Kindern sein könne, dann machen wir uns vermutlich etwas vor. Die Chancen stehen gut, dass Menschen in 100 Jahren genau so schockiert sein werden über einige der Lügen, die wir von uns geben, wie wir es sind über die Lügen, die vor 100 Jahren erzählt wurden.
I kann nicht voraussagen, welche dies sein werden, aber ich will auch keinen Essay schreiben, der in 100 Jahren dumm erscheint. Deshalb werde ich einfach alle unsere Lügen Lügen nennen, und nicht spezielle Euphemismen benutzen für Lügen, die nach heutiger Mode entschuldbar erscheinen.
(Ich habe eine Art weggelassen: Jene, die erzählt werden, um mit der Leichtgläubigkeit von Kindern Spielchen zu spielen. Diese spielen sich ab im Bereich “So tun als ob,” was nicht wirklich eine Lüge ist, sondern mit einem Augenzwinkern erzählt wird, bis zu den furcherregenden Lügen, die einem von den älteren Geschwistern erzählt werden. Dazu gibt es nicht viel zu sagen: Die ersteren möchte ich nicht missen, und die zweiteren wird es immer geben.)
[] Calaprice, Alice (Herausgeberin), The Quotable Einstein, Princeton University Press, 1996
[] Wenn man Eltern danach fragt, warum Kinder nicht fluchen sollen, so antworten die weniger Gebildeten üblicherweise mit Fragen-heischenden Erklärungen wie “Es ist unangemessen,” während die Gebildeteren ausgeklügelte Rationalisierungen von sich geben. In der Tat scheinen die weniger Gebildeten näher an der Wahrheit zu sein.
[] Wie mir ein Freund mit kleinen Kindern aufgezeigt hat, ist es leicht für kleine Kinder, sich für unsterblich zu halten, weil die Zeit für sie so langsam zu verstreichen scheint. Für einen Dreijährigen fühlt sich ein Tag etwa so an wie ein Monat für einen Erwachsenen. Darum klingen 80 Jahre für ihn, wie 2400 Jahre für uns klingen würden.
[] Ich realisiere, dass ich mir unendlichen Ärger einhandeln werde dafür, dass ich Religionen als eine Art Lüge klassifiziere. Gewöhnlich umgehen die Leute diese Problematik mit einer Mehrdeutigkeit im Sinne dessen, dass Lügen, die für genügend lange Zeit durch eine genügend grosse Anzahl Menschen geglaubt wurden, immun sind für die normalen Standards für Wahrheit. Da ich aber nicht vorhersagen kann, welche Lügen zukünftige Generationen für unentschuldbar halten werden, kann ich korrekterweise keine Art weglassen. Ja, es erscheint unwahrscheinlich, dass Religion in 100 Jahren ausser Mode gerät, aber auch nicht unwahrscheinlicher, als es jemand im Jahre 1880 erschienen wäre, dass Schulkindern im Jahre 1980 beigebracht wird, dass Masturbation völlig normal ist und dass man kein schlechtes Gewissen zu haben braucht deswegen.
[] Unglücklicherweise kann die Ladung sowohl aus guten als auch aus schlechten Gebräuchen bestehen. Zum Beispiel gibt es bestimmte Qualitäten, die gewisse Gruppen in Amerika als “sich weiss verhalten” betrachten. In Tat und Wahrheit könnte man die meisten “sich Japanisch verhalten” nennen. Es ist nichts besonders weisses an diesen Gebräuchen. Sie sind allen Kulturen gemein, die eine lange Tradition des in-den-Städten-lebens aufweisen. Wenn eine Gruppe sich durch das Gegenteil definiert, so steht sie damit vermutlich auf verlorenem Posten.
[] In diesem Kontext bedeutet “Themen” grundsätzlich “Dinge, über die wir Lügen erzählen werden.” Deshalb haben diese Bereich einen besonderen Namen.
[] Mayle, Peter, Why Are We Getting a Divorce?, Harmony, 1988
[] Die Ironie daran ist folgende: Dies ist gleichzeitig der Hauptgrund, weshalb Kinder Erwachsene anlügen. Falls du ausflippst, wenn dir die Leute alarmierende Dinge erzählen, dann werden sie eben aufhören, sie dir zu erzählen. Teenager erzählen ihren Eltern nicht, was an jenem Abend passiert ist, als sie bei einem Freund übernachten sollten, aus demselben Grund, aus dem Eltern ihrem Fünfjährigen nicht erzählen, was es genau mit dem Thanksgivings-Truthahn auf sich hat. Sie würden ausflippen, wenn sie es wüssten.
Danke an Sam Altman, Marc Andreessen, Trevor Blackwell, Patrick Collison, Jessica Livingston, Jackie McDonough, Robert Morris, and David Sloo für das Lesen der Entwürfe dieses Essays. Und da es einige kontroverse Ideen hier hat, sollte ich ergänzen, dass keiner von ihnen mit allem einverstanden war.