Katzengeschichten — Tinka (2)
Dieses ist der zweite Teil der Geschichte über meine frühere Katze Tinka. Teil 1 hier
Junge Kätzchen gibt man am besten weg im Alter von ungefähr 8 Wochen. Jedenfalls nicht vorher, da sind sie noch zu klein und zu abhängig von ihrer Mutter. Und unsere sechs Kätzchen waren rasch vergeben. Als meine Frau und die Kinder bei ihren Freunden und Bekannten erzählten, dass wir junge Kätzchen hätten, kamen mehrere Leute vorbei und wählten sich ihr Exemplar aus. Von den sechs Rabauken war eines rötlich gestreift, eines war schwarz-weiss gefleckt, und die anderen vier waren alle rabenschwarz wie Panther.
Unvergessen sind noch die Szenen, als Tinka ihren Kleinen beizubringen versucht, wie man Mäuse fängt. Zu diesem Zweck hat sie zwei Hilfsmittel eingesetzt, deren Sinn und Zweck wir eine Weile lang erst ergründen mussten. Wir wunderten uns nämlich über die Blätter, die wir wegräumen mussten. Und etwas später lagen Tannenzapfen in der Wohnung herum. Irgendwann kapierten wir, wozu diese Gegenstände dienten: Tinka brachte diese Dinge ihren Jungen, um ihnen daran zu demonstrieren, wie man Mäuse behandelt — und überliess sie dann den Jungen zum Üben. Diese zerfetzten die Blätter und warfen die Tannenzapfen in der Luft herum, dass es eine Freude war.
Ein paar Monate später, Ende Jahr, gab es einen grösseren Umbruch für Tinka, weil ich mich Ende Dezember von meiner Frau trennte und auch meine Frau dadurch aus dem grossen Haus ausziehen musste, in dem sie sonst alleine zurückgeblieben wäre. Während der dreimonatigen Kündigungsfrist war Tinka eine grosse emotionale Stütze für meine Frau, wie sie mir später erzählte. Sie meinte, ohne Tinka hätte sie die drei Monate alleine in diesem Haus, das gefüllt war mit all den schönen aber auch traurigen Erinnerungen, fast nicht überlebt. Ende März zog meine Frau nach Baden in eine Zweizimmerwohnung im fünften Stock, und ich holte Tinka zu mir nach Zürich, weil ich eine grössere Wohnung hatte (mit drei Zimmern) und ausserdem im Erdgeschoss wohnte, sodass Tinka bei mir nach draussen konnte, wie sie es sich gewohnt war. Allerdings war die Wohnung in der Stadt und an einer vielbefahrenen Strasse mit Strassenbahn gelegen.
Mein Eindruck war, dass sich Tinka sehr rasch bei mir an den neuen Ort gewöhnte. Sie kannte mich, kam gerne zu mir um zu schmusen und nahm gerne das Futter an von mir. Sie ging gerne nach draussen, kehrte aber auch immer wieder zurück. Sie brachte mir sogar regelmässig Tannenzapfen in die Wohnung. Ich nahm an, dass diese als Liebesgeschenk gedacht waren, war ich doch alleine nicht in der Lage, Mäuse zu jagen… Doch nach ungefähr drei Monaten, also mitten im Sommer, kam sie eines Nachts nicht nach Hause. Am nächsten Tag machte ich mir Sorgen, erzählte davon auch meiner Nachbarin, die in der Wohnung über mir wohnte. Sie erwähnte, dass iher Tochter Tinka am frühen Morgen am Strassenrand liegen gesehen habe. Später sei die Katze verschwunden gewesen. Ich rief auf dem Polizeiposten an und dort bestätigte man mir, man habe am frühen Morgen einen Katzenkadaver weggeräumt. Die Katze sei wohl von einem Auto angefahren und liegen gelassen worden. Der Täter habe Fahrerflucht begangen, sei aber nicht zu eruieren.
Das war der Tod von Tinka. Man kann also sagen, dass die arme Tinka, das “Mädchen vom Land”, den Umzug in die Stadt nicht verkraftet hat. Ihr Tod war ein grosser Schmerz für alle Beteiligten, für ihre erste Besitzerin Jutta, für meine Frau, für meine Nachbarin und ihre Tochter, die Tinka auch bereits liebgewonnen hatten, und natürlich nicht zuletzt auch für mich. Die rührendste Reaktion kam aber von der etwa fünfjährigen Tochter der Nachbarin. Sie malte nämlich ein Bild für mich und schrieb einen rührenden Abschiedsbrief. Sie konnte zwar selber noch nicht schreiben, diktierte aber ihrer Mutter folgenden Brief:
Lieber Daniel
Wir feiern das traurige Fest, das heisst “Tinka ist gestorben”. Das ist das traurigste, traurigste Fest, das ich je erlebt habe. Die kleine Tinka ist erst vier Jahre alt geworden. Wir haben sie genau vom Balkon aus gesehen, als sie tot auf dem Trottoir lag, von einem Auto verkaret.
Oben an der Zeichnung sind die Trauerfahnen. Vielleicht nimmt der Daniel ja einmal eine neue liebe Katze, die nicht vor den Kindern, sondern vor den Autos Angst hat. Ich habe heute wegen Tinka geweint.