Für Männer die etwas riskieren
Eine besondere Form des Coachings
Dieser Artikel erschien in leicht abgeänderter Form unter dem Titel “Manager mit Charakter” in Alpha — der Kadermarkt der Schweiz am 31. 5. 2003. Da der Autor ein Freund von mir ist und ich für den Männerworkshop Simultanübersetzer bin, reproduziere ich den Artikel gerne hier auf meinem Blog. Mit freundlicher Genehmigung des Autors, Herrn Urs Dudle.
Männerworkshops und Seminare mit Männern entfalten nachhaltige Wirkung und das gerade auch im Hinblick auf den Beruf. Durch ihren ungewöhnlichen, direkten Approach stellen solche Workshops eine spezielle und effiziente aber sehr persönliche Form des Coachings dar.
“Neue Männer braucht das Land!” sang Ina Deter vor ein paar Jahren in ihrem Lied. In Zeiten, wo das Vertrauen in viele unserer Wirtschaftskapitäne erschüttert ist, wird dieser Gedanke gerne wieder aufgenommen. Dieser etwas radikale Ruf mag in uns zwiespältige Gefühle hervorrufen. Tatsache bleibt aber, daß das Thema Mann viel ungenutztes Potential in sich birgt.
In diesem Artikel werden die wichtigsten Aspekte der Männerarbeit aufgezeichnet und ihre Beziehung zu wirtschaftlich relevanten Werten und Fähigkeiten dargestellt. Dieser Verbindung stehen leider oftmals Vorurteile von beiden Seiten im Wege. Richtig aufgebaut kann Männerarbeit für sich alleine stehen oder einem traditionellen Coaching (von Führungskräften) wesentliche Aspekte beifügen, indem sie eine direkte Verbindung zum männlichen Kern aufbaut. Anstatt sich in Zielen, Analysen und Technik zu verlieren steht die Echtheit, die Authentizität im Zentrum. Damit werden brach liegende Energiequellen angezapft, persönliche wie kollektive, wobei vor allem letztere in Freundschaft und Gemeinschaft wurzeln. Erst aus der Echtheit entsteht wirkliche Klarheit, Vision und ein Verantwortungsbewußtsein, als Chef, als Coach oder einfach als Vater.
Vorab noch ein kurzes Wort zu den Frauen. Vieles was hier gesagt wird, gilt natürlich auch für Frauen, für die Menschheit überhaupt. Daß ich hier primär von den Männern spreche, hat damit zu tun, daß die spezifische Arbeit mit Männern das Schwergewicht auf typische männliche Muster legen und mit speziellen Strategien und Methoden der männlichen Natur entgegen kommen kann. Dadurch entsteht ein Raum für Männer. Sinnigerweise haben viele Frauen dafür oft mehr Verständnis als Männer. Die meisten Frauen haben nämlich längst bemerkt, daß sie sich weibliche Räume als Ressourcen schaffen müssen. Im übrigen werden auch die Resultate, die im männlichen Raum entstehen, von den Partnerinnen häufig sehr geschätzt, auch wenn sich dabei öfters herausstellt, daß der kleine Unterschied dann doch etwas größer ausfällt, als Frau sich das gedacht hatte.
Das kontroverse Thema von der männlichen Identität
Beginnen wir also kurz mit der Situation von uns Männern heute. Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern, daß die alten Rollen ausgedient hätten und es mangelt nicht an Kritik und Anfeindungen. Gerne und nur allzu schnell kriegen wir dann auch schon die Rezepte vorgesetzt, wie nun Männer zu sein hätten. Presse und Fachliteratur versuchen uns weis zu machen, daß der neue Mann gerade hart oder eben gerade wieder soft und verständig sei, um nach ein paar Jahren das genaue Gegenteil zu lehren. Trends eben, nichts weiter als Fahnen im Wind, von neu eigentlich keine Spur.
Robert Bly hat in Eisenhans1, seinem Klassiker über Männer, gerade den anderen Weg genommen. Er hat zwar einen scharfen Blick für die Gegenwart, im wesentlichen aber berichtet er, wie Männer in der Vergangenheit und in verschiedenen Kulturen gelebt haben respektive immer noch leben. Es finden sich erstaunliche Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede. Anhand des Grimm-Märchens Eisenhans untersucht er die verschiedenen Stadien, die ein Mann typischerweise in seiner Entwicklung durchläuft, nennt Beispiele dafür und illustriert, wie solche Phasen in verschiedenen kulturellen Umfeldern gehandhabt wurden.
Spätestens hier kann es Mann dämmern: statt sich über einen stupiden einseitigen Trend zu definieren scheint Männlichkeit viel mehr Breite und Tiefe einzuschließen. Alle Modelle von Männlichkeit haben natürlich ihre Grenzen, aber wenn wir schon eines benutzen, dann zum Beispiel jenes, das aus dem Kreis der vier gängigsten männlichen Archetypen besteht. Auf der einen Seite steht da der Vater/König/Chef, der Verantwortung trägt. Er hat Macht und Autorität, bewahrt und schützt die großen Werte. Ihm gegenüber steht als Kontrast der Sohn/Liebhaber/Künstler. Er bindet sich nicht, lehnt Verantwortung ab, stellt väterliche Autorität in Frage, macht was ihm paßt. Seine Stärke ist die Kreativität.
Die dritte Figur ist der Krieger/Macher/Manager. Er ist völlig handlungsorientiert, prescht in einem unbändigen Tempo voran, ist sich häufig nicht wirklich bewußt, was er da gerade anstellt. Ihm gegenüber steht der Magier/Weise/Wissenschaftler der den Durchblick für Sachlage hat, aber gerade deshalb sich oft nicht entscheiden kann oder will, weil ihm die Dinge einfach zu komplex erscheinen.
Als Beispiel zeigt die nachfolgende Tabelle diese vier gängigsten männlichen Archetypen aus dem unternehmerischen Blickwinkel.
Typ | Stärken | Schwächen |
Chef, Unternehmer (Vater, König) |
Trägt Verantwortung, integriert, entscheidet, leitet, | Autoritäres Gebaren, Machtmißbrauch, einseitiger Top-Down-Approach |
Schöpfer, Creator (Sohn, Künstler) |
Kreativität, Finden neuer Lösungen, stellt Strukturen und Entscheidungen in Frage | Eigensinn und fehlende Einordnung, mangelnde wirtschaftliche Ausrichtung |
Manager, Macher (Krieger) |
Handelt, setzt um, Taten statt Worte | Blinder Aktionismus, chronische Reorganisation |
Wissenschaftler, Consultant (Magier, Weiser) |
Exakter Analytiker, guter Berater, Wissensträger | Mangelnde Effizienz und Umsetzung, zu kompliziert |
Archetypen existieren bekanntlich nie als Menschen. Ein Charakter ist immer eine Mischung aus diesen Typen. Im Verlaufe der Zeit aber auch je nach Situation ändert sich diese. Männlichkeit muß man also deshalb als dynamischen Prozeß verstehen, der im Spannungsfeld z.B. dieser 4 grundsätzlichen Archetypen stattfindet. Die individuelle Mischung ist anfänglich oft einseitig, ändert sich situativ und im Verlaufe der Entwicklung oft drastisch und integriert im besten Fall die Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen.
Statt einseitiger Charaktere sind heute in der Wirtschaft teamfähige Chefs, ökonomisch denkende Wissenschaftler und fachkompetente Manager gefragt. Auch in der Männerarbeit geht es nicht um das einseitige Training bestimmter Eigenschaften, wie das oftmals sonst angeboten wird, sondern um ein differenziertes Zusammenspiel der männlichen Möglichkeiten zu finden. Statt sich monoman einer Strategie zu verschreiben geht es viel mehr darum, die Breite und Variabilität der eigenen Persönlichkeit zu entdecken und damit neue Ressourcen anzuzapfen.
Angst und Lüge versus Integrität und Transparenz
Diese Ressourcen werden aber erst dann wirklich positiv wirksam, wenn sie sich mit Integrität und Wahrheit verbinden. Ansonsten gehen diese Qualitäten in der persönlichen Schwäche oder in persönlichen Machtspielen unter. Transparenz ist hier das Stichwort. Spätestens dann, wenn der rechte Arm einer Unternehmung nicht mehr weiß was der linke tut, untergräbt das Effizienz und Ergebnis nachhaltig. Hundert kleine Lügen ergeben am Ende eine große Lüge. Die ökonomische Quittung dafür folgt bestimmt. Wahrheit und Transparenz aber müssen wir selber schaffen, statt vergeblich auf unseren Vorgesetzten zu warten. Niemand sonst steht dafür ein, wenn nicht gerade ich heute und jetzt. Die Folgen können positiv sein, doch im Extremfall kann mich das auch meinen Job kosten. Garantien gibt es keine.
Hier steht jeder von uns nervös an einer Schwelle. Angst heißt diese Schwelle. Davon redet man im Coachingbereich nicht gerne, weil es zu negativ klingt. Angst hat tausend Gesichter: Nervosität, Dominanz, falsches Selbstbewußtsein, glänzende vordergründige Zahlen, hektische Aktivität, Zigarette und alles andere kleine und große süchtige Verhalten inklusive dem Workaholismus. Entgegen der häufig von Fachleuten vertretenen Auffassung, bin ich der festen Überzeugung, daß man Angst nicht einfach wegkriegt. Alles, was ich nämlich gegen die Angst verwende, ist letztlich nur wieder ein Ausdruck der Angst selber. Ich tue es aus Angst vor der Angst. Ich kann allerdings der Angst begegnen. Das nennt sich dann Mut. Es liegt nur an mir: Entscheide ich mich für das, was richtig ist, vertrete ich es zwar mit aller Diplomatie und dennoch klar oder stimme ich in das Geheul der Wölfe ein? Stehe ich für Transparenz ein, dafür, daß wir sehen und kommunizieren, was wir tun, auch wenn das nicht immer Freude macht, oder versuche ich den eigenen Hintern zu retten, täusche vor, um Bonus und Beförderung zu kriegen.
Letztlich ist es eine grundsätzliche Entscheidung in unserem Leben: Nehme ich mir die Freiheit ehrlich zu sein und meine Grenzen und die der Firma zu sprengen oder beuge ich mich dem Diktat der Angst und beginne mich damit zunehmend in einen Käfig zu sperren, der mir bald nicht mehr erlauben wird, mich so zu bewegen, wie ich es für richtig halte. Damit habe ich nicht nur meinen Aktionsradius, sondern auch den der Firma eingeschränkt. Mit dieser grundsätzlichen Entscheidung stehe ich immer alleine, niemand nimmt sie mir ab. In der Männerarbeit wird sie klar aufs Tapet gebracht.
Maßlosigkeit versus Verantwortung
Doch kaum habe ich die “Wahrheit” gefunden, so renne ich als typischer Mann schon in die nächste Falle: Als Besserwisser und Apostel, als sogenannter Fachmann bin ich in stetiger Versuchung maßlos zu werden und damit den Boden der Vernunft zu verlassen und ein offensichtlicher oder ein verkappter Fanatiker zu werden. Maßlosigkeit dient nicht der Sache, sondern den Machtgelüsten des eigenen Egos. Fanatiker sind typischerweise Männer und es gibt sie in allen Schattierungen vom Turnlehrer bis zum “genial” größenwahnsinnigen Top-Manager, der seinen Konzern glorreich geradewegs in den Abgrund führt. Eines ist ihnen allen gemeinsam: die guten Absichten, hinter denen sich auch immer wieder verschanzen. Ein angelsächsisches Sprichwort sagt es klar: Der Weg zu Hölle ist gepflastert mit guten Absichten. Gute Absichten alleine sind also nicht genug.
Hier setzt wohl der Hauptpunkt der Männerarbeit ein: Männer sind gefährlich. Was kann man aber tun, damit Männer zwar weiterhin ihre Kraft und Vitalität behalten, ohne daß sie damit Schaden anrichten? Viele Kulturen haben darauf mit einer Initiation, mit einer Einführung von Jungen in die Gemeinschaft der Männer reagiert. Zum einen wird der junge Mann damit aus seiner kindlichen Abhängigkeit von der Mutter geholt und in die Verantwortung geführt. Da er nun Teil der männlichen Gemeinschaft ist, muß er sich auch nicht mehr ständig mit halsbrecherischen Aktionen seine Männlichkeit beweisen. Diese Aufnahme hätte aber keinen echten Wert, wenn er sie nicht durch eine harte Prüfung seiner Kraft und seines Mutes im Verlaufe der Initiation erkaufen müßte. Als Teil dieser Herausforderung wird der junge Mann im Verlaufe dieses Prozesses verletzt. Die Verletzung hat aber eigentlich ein anderes, ein primäres Ziel: sie zeigt uns Männern unsere eigenen Grenzen, eben unsere Verletzlichkeit. Sie führt uns vor Augen, daß wir keine Supermänner sind, auch wenn wir uns gelegentlich so fühlen. Schmerz und Verletzung führen zu Mitgefühl und sozialer (und damit auch betrieblicher) Verantwortung zurück. Und genau das ist es, was dem Fanatiker fehlt.
Das Auftreten von Jugendgangs ist ein klares Symptom dafür: Männliche Initiationen fehlen in unserer Gesellschaft fast vollständig. Lamentieren hilft da nichts, reines intellektuelles Verstehen des Prinzips auch nicht. Man muß sie einfach nachholen, völlig unabhängig vom Alter und in einer zeitgemäßen Form. Eigentlich ist es erstaunlich, daß das so einfach ist und auch tatsächlich praktisch funktioniert.
Einzelkämpfer versus Freundschaft und Teamfähigkeit
Mit dem Stichwort Aufnahme in die Gemeinschaft der Männer ist ein Schlaglicht auf einen weiteren neuralgischen Punkt geworfen: Männerfreundschaften. Es ist immer wieder erstaunlich wie wir Männer es schaffen, unsere Einsamkeit als heldenhaftes Einzelkämpfertum zu verklären und darauf auch noch stolz zu sein. Gerade die sogenannt härtesten Männer haben hier oft die größten sozialen Ängste. Natürlich sind sie uneingestanden und alle möglichen Vorurteile müssen herhalten, warum der andere nicht der richtige Kumpel sei oder warum Freundschaft unter Männern ohnehin meist nur stupide und ordinär sei. Aus dieser Sicht werden andere Männer häufig nur als Rivalen erlebt, auch wenn man sich mit ihnen arrangieren muß. Daß man es bei solchen Mitarbeitern nicht gerade mit Teamplayern zu tun hat, und daß damit die ganze Matrix-Organisation für die Katz ist, versteht sich von selbst. Dabei ist Freundschaft doch eigentlich etwas ganz simples. Nur einer steht mir im Wege: ich selber mit meinen Vorurteilen. Während das traditionelle Coaching eher Brutstätten für Eliten schaffen will, geht man in der Männerarbeit gerade den anderen Weg: Eine gute soziale und altersmäßige Durchmischung garantiert, daß ich in einem anderen Workshopteilnehmer garantiert jenen Teil von mir selber antreffe, den ich am wenigsten annehmen kann. Doch die offene Konfrontation und der gemeinsame Prozeß, in dem alle aufeinander angewiesen sind, tun zum Glück das ihrige und viele Vorurteile zerplatzen im Verlaufe des Workshops wie Seifenblasen. In echter Freundschaft hat die ganze Spannbreite von der Rivalität bis zum Mitgefühl Platz. Zwar sehen sich viele Männer in der Wirtschaft vor allem als Rivalen, paradoxerweise aber fürchten sie sich häufig davor, diese Rivalität auch offen und ehrlich auszutragen. Einstecken und Austeilen ist deshalb ein wichtiges Thema. Wer sich schon immer eine Versachlichung der Diskussionen im Betrieb gewünscht hat, ist hier genau richtig: Wie sollte das klappen, wenn ich nicht zugeben kann, daß der andere die besseren Argumente hat (d.h. ich nicht einstecken kann)? Oder wie, wenn ich schweige, während am Tisch mit hohlen strategischen Begriffen herumgefaselt wird und niemand das Kind beim Namen nennt (d.h. ich nicht austeilen kann)? Was für eine Erleichterung, wenn die Konfrontation in aller Härte und Fairness stattfinden kann und statt des befürchteten Krieges am Ende Friede und Respekt da sind. Freunde, echte Freunde zu haben ist eine wichtige Ressource. Und das ist die Voraussetzung für ein echtes Team. Dann kann manchmal auch die berühmte Männerpower entstehen, die etwa bei erfolgreichen Sportteams am Werke ist. Es ist da wo die Gesamtleistung deutlich über der Summe der Einzelleistungen liegt.
Ich habe in diesem Artikel die wichtigsten Aspekte der Männerarbeit und deren wirtschaftliches Potential aufgezeigt. Zentrale Punkte wie Echtheit, Klarheit, Mut, Kraft, Freundschaft, Gemeinschaft und Integrität werden aus ihrem natürlichen Wesenskern heraus gestärkt. Männerworkshops können für sich allein oder als ergänzendes Element in einem Coaching nachhaltige Wirkung entfalten. Theoretische Ausführungen helfen zwar, zu verstehen und zu motivieren. Workshops die aber wirkliche Veränderungen bringen sollen, müssen natürlich darüber hinaus gehen und einen echten Prozeß ankicken. Die genannten Themen werden hier in einfacher, ja oft simpler Weise direkt erlebbar, eindringlich, hautnah und unausweichlich. Feedback-Runden helfen, das Erlebte zu verstehen und zu integrieren. Da die angeschnittenen Themen sehr persönlich sind und völlig direkt ausgetragen werden, kann diese Art von Workshops nicht einfach verordnet werden. Allenfalls kann man von betrieblicher Seite mit Einführungsworkshops den Wunsch nach dem vollen Programm wecken. Sich aber voll und ganz auf eine solche Charakterschule für Männer einzulassen ist eine ganz persönliche Entscheidung die einem die Firma nicht abnehmen kann noch darf.
Authentizität oder bloß Rezepte, die wahre Bilanz oder eine galante Lüge? Worum soll es gehen in meinem privaten Leben und in der Firma? Das ist nur für Männer die etwas wagen, ganz persönlich wagen. Und was die neuen Männer angeht, so kann es heute schon einen mehr geben, wenn ich es will, und jeden Tag aufs neue.
Der Autor, Urs Dudle (Dr. med.), ist Arzt und arbeitet als Psychiater. Er war früher einige Jahre im Bereich Human Ressources, u.a. in einem global tätigen pharmazeutischen Unternehmen tätig. Zudem arbeitet er im Leitungsteam des Männerworkshops mit. ( www.maennerworkshop.com; info@projektb.ch)