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gespielt?

Jolan­ka hat am 10/3/2002 gefragt:
  hal­lo!
  mir (25) ist fol­gen­des passiert, in kurz­form werde ich es mal hier here­in­schreiben. seit einem hal­ben jahr bin ich mit einem mann (28) zusam­men, bei dem ich dachte, dass ist die liebe meines lebens. wir haben es bei­de so emp­fun­den und uns jeden tag darüber neu gefreut.jede stunde!!!
  nun ist es aber so, dass er arro­gante oder sehr ego­is­tis­che züge hat (was er auch schon von seinen fre­un­den zu hören bekam); diese züge ver­let­zten mich öfter. beispiel­sweise klam­mert er mich aus bes­timmten sachen ein­fach aus, obwohl es uns eigentlich näher brin­gen sollte. ich habe ihn am anfang in meinen bekan­ntenkreis einge­bracht. aber als er ein­mal besuch von einem fre­und hat­te (aus ein­er anderen stadt),hat er mich nicht ein­be­zo­gen, was mich sehr ver­let­zt hat. wir haben auch darüber gesprochen, aber er meinte, er hätte den ein­druck, ich hätte so viel zu tun (was auch stimmt), dass er mir die zeit da nicht weg­nehmen wollte. also irgend­wie selt­sam. ich komme mir so vor, als ob ich ihn in fast alles ein­bezei­he, er mich aber irgend­wie raushält. aber dazu immer eine “ver­ständ­nisvolle” erk­lärung hat.
  bin ich einem guten schaus­piel­er auf den leim gegangen?
  eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen, denn es ist alles sehr sehr tief und nah, und wir reden über alles, ver­ste­hen uns auch gegen­seit­ig. ich kenne auch seine schwächen und äng­ste, so wie er meine kennt.
  da er auch son­st “alles an sich reisst” und es als seins verkauft, per­sön­lich wie bei der arbeit (wurde ihm dort auch schon­mal gesagt), habe ich angst, dass er mich aus­saugt (wahrschein­lich täte er das eher unbe­wusst). übers woch­enende wollte wir jew­eils in die heimat­städte fahren, aber ich bin dann doch nicht gefahren, weil ich soviel zu tun habe. er ist allein gefahren. was für mich über­haupt kein prob­lem ist. aber er hat nichts darüber erzählt! nicht, wo er über­nachtet, bei seinen eltern oder bei fre­un­den, nicht, wen er trifft (er sagte nur, er sei “über­all verabre­det”). ich habe ihm das kurz vor der abfahrt gesagt, dass ich mir vorkomme, als wären wir uns total fremd, denn ich wüsste nicht, was er macht, und er wüsste nichts von mir. denn er weiss auch nicht, was ich mache.
  das alles (und noch mehr) kommt mir sehr selt­sam vor. ich habe ger­ade das gefühl mit einem ego­is­tis­chen arroganten
  kerl zusam­men­zu­sein. sowas hab ich noch nicht erlebt.
  ander­er­seits kann das alles nicht gespielt sein, diese nähe und dieses ver­ständ­nis auf der anderen seite. und das starke liebesge­fühl. er begrün­det sein ver­hal­ten oft mit angst, mich zu ver­lieren, und angst, unfähig zu sein oder mir nicht zu reichen.
  und er denkt dann, es würde mich stören, wenn ich eigentlich zeit für mich bräuchte, er mich dann aber zu sich und einem fre­und ein­laden würde.
  das ist auch nur ein kleines beispiel. ich habe auch schon fre­unde von ihm kennengelernt.
  ???????? ich kanns heut nicht mehr einschätzen.
  ein fre­und von mir meinte, er hätte den ein­druck gehabt, mein fre­und sei ein “ja-sager”.
  und mein fre­und hat sich in gegen­wart mein­er feunde so extrem ver­hal­ten, so überkan­didelt, dass ich gedacht habe, o gott, was ist denn nun los.
  er hat alles an sich geris­sen und ne show abge­zo­gen, so dass es mir schon richtig unheim­lich wurde.
  er hat mir dann gesagt, dass es daran liege, dass es sehr unsich­er gewe­sen sei und er wollte, dass meine fre­unde ihn mögen. dass er sich deshalb so ver­hal­ten hat, war aber wohl auch eher eine unbe­wusste reaktion.
  gut, kann ich ver­ste­hen, aber warum ist er so berech­nend? warum ist er nicht so, wie er ist, und macht sich selb­st ein bild von meinen fre­un­den und lässt es eben von alleine entste­hen, ob sie ihn mögen oder nicht?
  dazu kan ich noch sagen, dass er ganz leicht zwang­hafte züge hat (wirk­lich nur ganz leicht) und immer gern alles kon­trol­liert, was er inzwis­chen auch schon lock­er gelassen hat.
  ???
  fällt jeman­dem etwas dazu ein?
  würde mir sehr helfen!!
  viele grüsse
  jolan­ka

Daniel_heiniger hat am 12/3/2002 geantwortet
  Hal­lo Jolanka.

Ich bin ganz Bri’s Mei­n­ung. Auch ich denke, dass der Schlüs­sel zu deines Fre­un­des Ver­hal­ten darin liegt, dass er in seinem tief­sten Inneren unsich­er ist. Sein Ver­hal­ten ist ein Ver­such, diese Unsicher­heit zu über­spie­len und alles unter Kon­trolle zu behal­ten. Vielle­icht ist es die Unsicher­heit über die eigene Iden­tität, vielle­icht ist es ein falsch ver­standenes Rollenverständnis.
 


Heutzu­tage ist es auch immer schwieriger, ein Mann zu sein. Die alten Rol­len­bilder haben seit der Emanzi­pa­tion der Frau eigentlich aus­ge­di­ent, neue haben sich aber noch nicht wirk­lich etabliert. In der Gesellschaft ist Indi­vid­u­al­ität anscheinend immer wichtiger, Sozialsinn bzw. Fam­i­liensinn immer unwichtiger. Die Wirtschaft macht uns nur zu deut­lich vor, dass man es nur durch Rück­sicht­slosigkeit zu etwas bringt.


Wie mal jemand gesagt hat (lei­der erin­nere ich mich ger­ade nicht mehr daran, wer das war), gibt es genau genom­men nur zwei Grundge­füh­le, die unser Han­deln bes­tim­men. Entwed­er ist es die Angst, oder die Liebe. Alles andere lässt sich von diesen bei­den ableiten.


Vielle­icht täte es deinem Fre­und gut, sich mit sein­er Rolle, mit der Tat­sache, dass er ein Mann ist, auseinan­derzuset­zen. Ein Sem­i­nar wie der in der Schweiz ange­botene “Män­ner­work­shop” kön­nte ihn eventuell dabei unter­stützen (siehe http://www.maennerworkshop.com).


Aber, wie schon Bri gesagt hat: Let­ztlich musst du dich entschei­den, ob du deinen Fre­und so annehmen kannst, wie er ist. Ändern kannst du ihn nicht. Oder ander­sherum: Dadurch, dass du ihn akzep­tierst, wie er ist, wird ihm erst ermöglich, sich zu entwick­eln. Je mehr du ihn aber zu ändern ver­suchst, desto mehr wird er mauern und dort bleiben, wo er ist.


Herzlich

— Daniel

Jolan­ka hat am 12/3/2002 gefragt:
  Hal­lo Daniel!
  Danke für deine Antwort!
  Das ist auch ein inter­es­san­ter Gedanke mit dem Mann-Sein. Auf Bri’s Antwort hab ich grad den “aktuellen Stand” beschrieben ;-)). Sehr heiter!!
  Das, was mich tat­säch­lich gestört hat, war ja, dass er seine Unsicher­heit über­spielt hat, dass er sich ver­bo­gen hat. Ich liebe ihn, und zwar auch mit sein­er Angst. Bloss war der Schreck­en ein­fach da, zu sehen, wie er plöt­zlich so schaus­piel­ert. Wenn man in der Sit­u­a­tion ja sel­ber drin ist, wird es einem ja manch­mal gar nicht so deut­lich bewusst.
  Danke!
  Jolan­ka

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