Man kann ja die Menschen unterteilen in Hundemenschen und Katzenmenschen. Die einen rümpfen fast immer die Nase über die anderen. Gegenseitiges Verständnis ist fast unmöglich. Wie ja zwischen Vetretern der betreffenden Tierarten auch. Ich selber bin definitiv ein Katzenmensch. Fast mein gesamtes bisherige Leben habe ich mit einer Katze geteilt. Für Hundemenschen hatte ich nichts übrig, bis meine Schwägerin einen mannsgrossen Hund hatte und die beiden ein paar Tage mit meiner Frau und mir zusammen in den Bündner Bergen verbrachten. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt soll es um Tinka gehen.
In meiner Kindheit hatte es immer eine Katze im Haushalt gehabt. Später, als ich meinen eigenen Haushalt führte, hielt ich jeweils zwei Katzen, zusammen. Idealerweise aus demselben Wurf. Da ich ja berufstätigerweise tagsüber meist abwesend bin, können sich dann die beiden Katzen mit sich selber beschäftigen und es ist ihnen weniger langweilig, oder sie kommen weniger auf dumme Gedanken, wie etwa an den Vorhängen herumzuturnen. Ausserdem lebte ich immer an Orten, wo ich es ermöglichen konnte, dass die Katzen jederzeit nach draussen können. Katzen, die reine Stubentiger sind, bedaure ich und finde, dass sie nicht artgerecht gehalten werden.
Tinka war nicht alleine. Zu ihr gehörte ihr Bruder Tinkus. Diese beiden Katzen hatten wir nicht einmal selber ausgesucht. Vielmehr holte sie unsere damalige Nachbarin ins Haus. Wir lebten damals in einem Einfamilienhaus, das mit einer kleinen Einliegerwohnung versehen war. Darin lebte Jutta, aus Deutschland stammend, aber schon viele Jahre in der Schweiz lebend. Jutta hatte eine stattliche Statur und ein noch grösseres Herz. Wir verstanden uns sehr gut mit ihr, und verfolgten auch die ersten Schritte der wenige Monate alten Kätzchen gemeinsam. Wie erwähnt, Jutta taufte sie auf den Namen Tinkus und Tinka.
Eines Tages kam Jutta ganz aufgeregt zu uns und erzählte, sie hätte grade die Jalousienkästen gereinigt, und dazu hätte sie die Kästen mit einem Schraubenzieher öffnen müssen, um heranzukommen, und jetzt hätten es die Kätzchen irgendwie geschafft, da hinauf und hineinzuklettern. Sie steckten weit oben im Jalousienkasten drin und könnten nicht mehr herunter. Und sie komme auch nicht an sie heran. Zu dritt versammelten wir uns vor dem Jalousienkasten und berieten einigermassen ratlos, was zu tun sei. Ich versuchte, das eine Lager der Jalousienspule zu lösen, das ganze Gebilde auf der einen Seite herunterzuziehen, wodurch es schräg wäre und die Katzen sich auf diesem Wege herunterbequemen könnten, oder sie vielleicht jetzt mit einer Hand zu packen wären. Aber nein, leider nützte das nichts. Je näher wir mit einer Hand kamen, desto fester verkrochen sie sich davor so hoch und so weit weg wie nur irgend möglich. Um die Kätzchen nicht weiter zu erschrecken entfernten wir uns und rauchten erst mal in Ruhe eine Zigarette. Plötzlich hatte Jutta eine Idee. Sie ging in die Küche und holte etwas Butter. Sie strich sich ein bisschen Butter auf den Finger und streckte ihn den Kätzchen entgegen. Und dieser Versuchung konnten diese nicht widerstehen. Sie kamen aus ihrem Versteck und leckten freudig Juttas Finger ab. Langsam nahm Jutta ihre Hand herunter, der Schräge entlang, bis sie soweit war, dass sie die Kätzchen mit der anderen Hand packen und aus dem Jalousienkasten herunterheben konnte. Uff! Damit war eine unangenehme Situation zur Zufriedenheit aller Beteiligten entschärft worden.
Leider zog Jutta bald von uns weg in eine andere Wohnung mit ihrem Ehemann zusammen. Sie konnte ihre Kätzchen nicht in ihre neue Wohnung mitnehmen, weil der Vermieter das nicht erlaubte, also fragte sie uns, ob wir uns der beiden süssen annehmen wollten. Selbstverständlich wollten wir das! Und so gehörten die beiden nun uns. Allerdings stellten wir bald fest, dass Tinkus der Wechsel gar nicht passte. Er zog es weiterhin vor, vor der Gartentüre der Einliegerwohnung darauf zu warten, dass ihn jemand einliess, als etwa auf unsere Terrasse einen Stock höher zu gehen (das Haus war an einen Hang gebaut) und dort um Einlass zu bitten. Obwohl wir es gewiss nicht an Liebe, Zuneigung und Streicheleinheiten mangeln liessen. Er wollte sich nicht wirklich an uns gewöhnen. Tinka dagegen war ganz anderes. Von ihr hatten wir das Gefühl, dass sie sich sehr rasch umgewöhnte. Sie liess sich auch gerne von unseren Kindern streicheln und kam Abends zu uns aufs Sofa, nachts sogar manchmal in unser Ehebett.
Im nächsten Frühling war Tinka jährig und schwanger. Ich hatte auch früher schon Katzengeburten miterlebt, und mir war klar, dass es eigentlich genügend Katzen gibt auf der Welt und dass es schwierig werden würde, alle Katzen aus einem Wurf wieder loszuwerden. Man musste ja Leute finden, die einem ein junges Kätzchen abnehmen und gut für es sorgen wollten. Andererseits wollte ich durchaus der Tinka das Erlebnis, Mutter zu werden, gönnen. Deshalb war sie noch nicht sterilisiert worden. Normalerweise lasse ich Katzen erst nach dem ersten Wurf sterilisieren. Von daher schien mir logisch, Tinka von den frischgeborenen Kätzchen nur zwei zu lassen und ihr die anderen wegzunehmen. Aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Frau und die Kinder gemacht! Die Geburt fand eines Nachts unter unserem Ehebett statt. Selbstverständlich hatten wir ein hübsches Plätzchen vorbereitet für Tinkas Niederkunft, und zwar in einer Bananenschachtel, gut gepolstert und ausstaffiert. Aber wie üblich haben gebärende Katzen ihre eigenen Vorstellungen vom idealen Kindbett. Immerhin schafften wir es, Tinka eine Decke unterzuschieben, als es losging, so dass nicht allzuviel Blut auf den Spannteppich ging. Tinka machte rasch klar, dass sie wenig Lust darauf hatte, sich die ganze Zeit beobachten zu lassen, sondern verzog sich so weit es ging. Als wir zwischendurch nachschauten fanden sich erst zwei, dann drei, dann vier, dann fünf Kätzchen bei ihr liegend. Wir dachten schon, dass es das war. Aber als wir zwei Stunden später noch einmal nachzählten, waren es plötzlich sechs. Sechs kleine Kätzchen! Wie aufregend! Und so viele! Ich wollte gleich zur Tat schreiten und vier davon entfernen, als ich mich grossem Protest seitens meiner Frau und der Kinder gegenüber sah. Das sei doch überhaupt kein Problem, meinten sie, sie wüssten ganz genau, dass alle sechs Kätzchen bestens versorgt und untergebracht werden könnten. Ich sei ein Mörder! Nun ja, diesem geballten Pazifismus musste ich mich natürlich fügen — und es war mir, ehrlich gesagt, ohnehin wohler so.
Noch am selben Tag konnten wir Tinka davon überzeugen, dass das Nest, das wir für sie und ihre Kleinen in der Bananenschachtel vorbereitet hatten, auch ihren Qualitätsansprüchen genügen würde, und sie zog um mit ihrer Brut. Letztlich war sie sehr froh darum, da sie sich so immerhin für eine Weile entfernen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass die Kleinen aus dem Nest fallen oder sich sonstwie verirren konnten. Die Wände der Bananenschachtel waren hoch genug. Und Tinka brauchte ihre Auszeiten unbedingt, wurde sie doch förmlich überrannt, als sie jeweils wieder im Nest auftauchte. Die sechs Kleinen quiekten und suchten fieberhaft nach den Zitzen der Mutter, schoben sich dabei gegenseitig aus dem Weg und krochen übereinander hinweg, bis endlich alle sechs eine Zitze gefunden hatten und wohlig vor sich hinschnurrend ihrer Nahrungsaufnahme fröhnen konnten. Da die Jungen doch auch schon Zähnchen hatten, floss dabei gelegentlich sogar etwas Blut. Die gute Tinka musste fast um ihre Zitzen bangen! Wir mussten sie öfter beruhigen und auf sie einreden, damit sie wieder zu den Kleinen stieg, so regelrecht erschöpft war sie manchmal.
Als die Kätzchen ihre Augen öffneten (Neugeborene Kätzchen sind ja zunächst blind, erst ungefähr am achten Tag öffnen sie die Augen) wurde die Bananenschachtel zur Rappelkiste, und nach etwa drei Wochen begannen sie, in ihrem Drang, die Welt zu erkunden, erst vorsichtig und dann immer mutiger, über den Schachtelrand zu Äugen und auch bald einmal darüber hinaus zu klettern. Von da an musste man in der ganzen Wohnung gut aufpassen, wo man hintritt.
Die Bananenschachtel hat uns viele äusserst vergnügliche Stunden beschert. Kann es etwas schöneres geben, als jungen Kätzchen dabei zuzuschauen, wie sie die Welt entdecken, wie sie spielerisch ihre Kraft aneinander ausprobieren, wie ihnen ihre Mutter die Welt zeigt und sie erzieht? Meine Frau und ich haben viel Zeit vor der Bananenschachtel und vor dem Fenster zum Balkon verbracht und einfach die Kätzchen beobachtet. Wir sprachen oft davon, dass das unterhaltsamer sei als Fernsehen.
Da aber nun der Zeitpunkt nahte, wo sich nicht mehr Tinka um das “Geschäft” ihrer Kleinen kümmerte, sondern wo langsam mit der Stubenreinheitserziehung beginnen musste, fällten wir den Entscheid, die ganze Rasselbande auf den Balkon zu verfrachten. Dort draussen wäre das alles kein Problem. Alles notwendige vorgesorgt, inklusive Katzenklo, Schlafplatz und Spielzeuge, fand daher der nächste Umzug statt. Für Tinka war das auch praktisch, weil sie von dort über ein Brett jederzeit in den Garten und auch wieder zurück konnte, ohne dass sie erst uns damit belästigen musste, ihr eine Tür zu öffnen.
Der Fütterungsvorgang erwies sich rasch als ein Problem. Das heisst, nicht die Fütterung an sich war das Problem, sondern die Tatsache, dass hinterher alles verspritzt und schmutzig war. Weil wir keine Lust auf die regelmässige Reinigung hatten, liessen wir uns etwas besseres einfallen. Bald hatte sich folgendes Ritual für die “Fütterung der Raubtiere” etabliert: Einer von uns ging mit dem Wäschekorb raus auf den Balkon. Dabei musste natürlich darauf geachtet werden, dass kein Kätzchen durch die kurzzeitig geöffnete Wohnzimmertüre ins Haus entwischte. Dann wurde jedes Kätzchen einzeln gepackt und in den Wäschekorb befördert. Eine schreiende und brüllende Katzenschar wurde nun im Wäschekorb durchs Wohnzimmer ins Badezimmer getragen. In der Badewanne wurden mehrere Tellerchen und Schälchen mit Futter und katzentauglicher (laktosefreier) Milch bereitgestellt und dann die Kätzchen aus dem Wäschekorb gehoben und in die Wanne gesetzt. So! Hier konnten sie nun nach Belieben sich auf das Essen stürzen, darüber hinwegmarschieren, durch die Milch spazieren, sich gegenseitig aus dem Teller schubsen. So lange, bis alle satt, die Teller leer, und die Badewanne vollgespritzt war. Nun sammelten wir sie einzeln wieder ein, putzten mit einem Lappen die kleinen Schnauzen und Pfoten, und setzten sie wieder in den Wäschekorb. Wieder ging es mit der Rasselbande durchs Wohnzimmer auf den Balkon, wo sie wieder freigelassen wurden und wieder nach Herzenslust herumtoben konnten. Die Badewanne mit der Brause abzuspritzen war dann am Ende das kleinste Problem.