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Öl auf der Europabrücke

1404416817046Kür­zlich wurde ich zum Verur­sach­er ein­er Ölspur auf der Europabrücke in Zürich. Das ist die grosse Brücke über das Lim­mat­tal zwis­chen Alt­stet­ten und Höngg, die west­lich­ste der drei grossen, eisen­bah­nüber­queren­den Brück­en im Lim­mat­tal. Lies hier die Geschichte dazu.

Unsere Chefas­sis­tentin fragte im Som­mer mal in der Belegschaft rum, ob jemand Inter­esse hätte an erstk­las­sigem Olivenöl. Ein ehe­ma­liger Mitar­beit­er sei jet­zt Oliven­bauer in Griechen­land und lief­ere gerne von seinem besten Öl an die früheren Kol­le­gen. Die Idee gefiel mir, und ich bestellt fünf Liter davon. Dieses wurde ein paar Wochen später in einem Kar­ton, der einen Plas­tik­sack gefüllt mit dem Öl enthielt, geliefert. Das Geld hat­te ich grade nicht dabei, die 80 Franken wollte ich in der darauf­fol­gen­den Woche bezahlen.

In diesem Som­mer bin ich fast immer mit dem Velo zur Arbeit gefahren. Bei schlechtem Wet­ter auch mal mit dem Bus. An diesem Tag war aber schönes Wet­ter, und so schnallte ich nach getan­er Arbeit den Olivenölka­r­ton auf dem Gepäck­träger meines Velos fest. Das ging ganz gut, der Kar­ton hat­te eine gute Grösse und die Gepäck­trägerk­lappe drück­te ziem­lich gut gegen den Kar­ton und hielt ihn gut fest, so dass ich mir keine Sor­gen machte, dass das Ding herun­ter­fall­en kön­nte. Also machte ich mich guter Dinge auf den Weg.

Mein Heimweg führt mich von Alt­stet­ten über die Europabrücke hinüber nach Höngg. Die Europabrücke ist gut für Autos, Velos und Fuss­gänger vor­bere­it­et, sie ver­fügt näm­lich jew­eils aussen über eine gute Rad-und-Fuss­gänger­spur, die bre­it genug ist, sodass es keine Prob­leme gibt. Kurz vor der Mitte der Brücke gibt es zwei Ab- und Auf­fahrten. Da geht der Rad­weg kurz die paar Zen­time­ter runter auf Fahrbahn­höhe und dahin­ter wieder hoch auf Trot­toirhöhe. Bei der zweit­en Auf­fahrt passierte es.

Ich hörte ein “Plopp!” und mein Velo schwank­te leicht. Sofort brem­ste ich, kam kurz danach ein paar Meter später auf dem Trot­toir zum Still­stand und drehte mich um. Da sah ich, dass auf der Seite des Kar­tons der Kar­ton­deck­el sich geöffnet hat­te und dass die Plas­tik­tüte mit dem Öl her­aus­ge­fall­en war. Sie lag jet­zt auf der Fahrbahn, nicht in der Mitte der Haupt­fahrbahn, son­dern am Rand der Auf­fahrt. Während ich vom Velo stieg, mich umdrehte und auf den am Boden liegen­den Sack zumarschierte, um ihn aufzuheben, kam ein Auto die Auf­fahrt herange­braust, hielt kurz an, da die Auf­fahrt mit einem Stop sig­nal­isiert war, und schaute um sich, ob die Bahn frei sei. Ich war überzeugt, dass mich der Fahrer sah, dass er den Plas­tik­sack auf dem Boden sah, und erken­nen musste, dass ich daran war, den Plas­tik­sack wieder aufheben zu wollen. Aber ich war noch nicht auf der Fahrbahn, als der Fahrer aufs Gaspedal drück­te und, da sich anscheinend eine Lücke im Verkehr aufge­tan hat­te, auf die Brücke fuhr. Dabei über­fuhr er den Plas­tik­sack, der jet­zt auf­platzte, worauf sich das ganze Olivenöl auf die Fahrbahn ergoss. Ich hätte in Trä­nen aus­brechen kön­nen und gle­ichzeit­ig fluchte ich auf den Idioten von stu­pi­dem Fahrer.

Jet­zt war natür­lich das Öl ver­loren. Ich trauerte den 80 Franken hin­ter­her, die ich über­haupt erst noch zahlen musste, und schaute eine Weile auf das Öl, das sich in ein­er Lache sam­melte. Bald fuhren weit­ere Autos die Auf­fahrt her­an, stoppten, und rei­ht­en sich in den Verkehr ein. Dabei fiel mir auf, dass einige dieser Autos ihre liebe Mühe hat­ten, Fahrt aufzunehmen und zu beschle­u­ni­gen. Bald ver­lief eine Ölspur vom ursprünglichen Fleck in zwei Reifen­spuren etwa fün­fzig Meter auf die Haupt­fahrbahn auf der Brücke und in Rich­tung Höngg. Da wurde mir etwas unwohl und ich dachte mir, dass jet­zt wohl jemand dieses Öl aufnehmen müsste und dass ich keine Ahnung hat­te, wie man sowas tun müsste. Aber, so fiel mir ein, für so etwas gibt es doch die Ölwehr. Also wählte ich auf einem Handy die Not­fall­num­mer 112 und sagte der Per­son am anderen Ende wo ich war und dass es hier eine Ölspur zu beseit­i­gen gäbe. Man bedank­te sich für die Mel­dung, bat mich, auf die Polizei zu warten, man schicke gle­ich eine Patroul­lie vorbei.

Gesagt, getan, ich lehnte mich also auf der Seite des Trot­toirs ans Gelän­der und spielte auf meinem Handy mein Lieblingsspiel und har­rte der Dinge, die da kom­men sollten.

Immer wieder hörte ich Autos von der Auf­fahrt her über das Öl schleifen und dachte nur bei mir, Vor­sicht, Leute, hier hat es Öl! Ein­mal kam eine Töff­fahrerin die Auf­fahrt her­auf, hielt am Stop, Fuhr an, und — Platsch! — lag sie auf dem Boden mit ihrem Töff. Immer­hin war es noch früh genug, der Feier­abend­verkehr hat­te noch nicht voll einge­set­zt, es muss so kurz nach 16 Uhr gewe­sen sein. Sofort ran­nte ich zu ihr und half ihr, das ziem­lich schwere Motor­rad wieder aufzustellen und entschuldigte mich sofort bei ihr und erk­lärte, dass da Öl auf der Fahrbahn liege, dass sie wohl deswe­gen aus­gerutscht sei, dass ich die Polizei schon alarmiert habe und nur darauf warte, dass eine Patroul­lie auf­tauche. Wir schoben ihr Motor­rad an den Fahrbah­n­rand und sie blieb bei mir und wir began­nen, zu zweit den Verkehr zu regeln, da mir bewusst gewor­den war, dass die Ölspur offen­sichtlich gefährlich­er war, als ich dachte, und dass man die Verkehrsteil­nehmer war­nen musste. Ich stellte mich auf den äusser­sten Aus­läufer der Ölspur und wink­te den vor­beifahren­den Autos, das Tem­po zu drosseln. Sie stellte sich auf die Auf­fahrt und warnte ins­beson­dere alle Motor­rad­fahrer vor dem Öl. Und so ver­bracht­en wir unge­fähr eine Vier­tel­stunde, bis endlich ein Streifen­wa­gen von Alt­stet­ten herkam und vor der Ölspur anhielt und gle­ich sel­ber die Fahrbahn blockierte.

Zwei Polizis­ten stiegen aus, ein­er kam mit zwei Behäl­tern mit Ölbindemit­teln zu mir und meinte, naja, lei­der sei das alles, was er grade dabei­habe, das werde wohl nicht für das gesamte Öl auf der Fahrbahn reichen. Aber immer­hin, er reichte mir eine der bei­den Flaschen und wir streuten sie mal auf die gröb­sten Ölfleck­en. Dann stellte er ein paar Pylo­nen um das Öl herum auf und meinte, am besten bestelle er gle­ich noch die Feuer­wehr her, die kön­nten sich dann richtig um die Angele­gen­heit küm­mern. Dann befragte er mich zum Her­gang. Ich erk­lärte ihm, was passiert war. Er fragte, ich ich mir die Auton­um­mer des Autos, das den Ölsack über­fahren habe, gemerkt habe. Lei­der nein, musste ich zur Antwort geben, und ver­fluchte mich inner­lich für meine Unaufmerk­samkeit. Auch die Sache mit der stürzen­den Motor­rad­fahrerin erk­lärte ich ihm, wie ich es gese­hen und erlebt hat­te. Er bedank­te sich bei mir und meinte, ich hätte mich vor­bildlich ver­hal­ten. Es kön­nte sein, dass die Motor­rad­fahrerin einen Schaden anmelde, ob ich eine Ver­sicherung hätte. Natür­lich, sagte ich, soweit ich wüsste, sei meine Pri­vathaftpflicht auch für Velosachen zuständig. Ja, das sei richtig, meinte er.

Dann kam die Feuer­wehr. Das Ölwehrauto stell­ten sie hin­ter der Ölspur ab und stapften bre­it­beinig auf uns zu. Schon von weit­em rief mir ein­er von ihnen zu: “Sind Sie der Schaden­verur­sach­er? Das wird teuer!” Ich machte mich auf das Schlimm­ste gefasst, hoffte aber, dass meine Ver­sicherung das Übernehmen würde. Er redete von einem vier­stel­li­gen Betrag, den diese Schadens­be­sei­t­i­gung kosten würde. Als ich erwäh­nte, dass es sich um Olivenöl han­delte, war der Feuer­wehrmann fast ent­täuscht. Ach, meinte er, er hätte schon gedacht, es han­dle sich um Motorenöl oder noch schlimmeres…

Naja, jet­zt waren die Profis am Werk und ich kon­nte nichts mehr tun. Der Polizist, der mich ver­nom­men hat­te, kam noch ein­mal zu mir und meinte, ich könne jet­zt gehen, wenn ich wolle. Sie hät­ten meine Per­son­alien, er werde einen Rap­port schreiben. Dieser werde zu den entsprechen­den Amtsstellen gehen (deren Beze­ich­nung ich mir nicht merken kon­nte), wo jemand auf­grund der Akten­lage entschei­den werde, ob ich noch gebüsst wer­den müsse oder nicht. Ob das der Fall sein werde, wisse er nicht, er fände es eigentlich nicht nötig, eben weil ich mich vor­bildlich ver­hal­ten habe, aber das könne man nie wis­sen. Ausser­dem könne es sein, dass die Motor­rad­fahrerin einen Schaden anmelde, aber sie habe zu ihm gesagt, dass sie das wohl als Selb­stun­fall abbuchen werde. Es sei ja soweit nichts schlim­meres passiert.

Ich fuhr nach Hause und musste Zuhause erst mal ein Bier trinken auf die Aufre­gung hin.

Nun kön­nte die Geschichte eigentlich Zuende sein. Aber sie ist es noch nicht ganz. Zunächst ein­mal die Sache mit der Ver­sicherung. Dazu muss ich sagen, die Ver­sicherung war sehr zuvork­om­mend. Unge­fähr zwei Wochen später erhielt ich die Rech­nung von der Feuer­wehr. Sie belief sich auf etwas unter 500 Franken. Ich war also sozusagen glimpflich davongekom­men. Jet­zt machte ich die Schadens­meldung an meine Pri­vathaftpflichtver­sicherung. Sie bestätigte den Ein­gang der Schadens­meldung und ver­meldete, dass sie dankbar seien um meine Mel­dung, jet­zt kön­nten Sie auch den Schaden am Motor­rad von Frau Meier (name geän­dert) zuord­nen und erledi­gen. Ach? Dachte ich, hat sich die Motor­rad­fahrerin doch noch gemeldet? Na gut, meinetwe­gen. Rein aus Neugierde fragte ich den Ver­sicherungs­ber­ater per Email, ob er mir die Höhe des Schadens an Frau Meiers Motor­rad nen­nen könne. Das seien um die 2000 Franken. Ach? Das fand ich denn doch etwas über­raschend und fragte nach weit­eren Details über den Schaden. Die Rech­nung der Werk­statt habe er grade nicht zur Hand, aber die Fotos des Sachver­ständi­gen, die er mir gerne schick­en könne. …und diese Fotos hat­ten es in sich. Ich war über­rascht, zu sehen, dass da an Fuss­ras­ten und Lenker­grif­f­en auf der recht­en Seite mas­sive Schleif­spuren zu sehen waren. Ausser­dem fiel mir auf, dass diese Schä­den auf der recht­en Seite des Motor­rades waren. Und ich hätte schwören kön­nen, dass das Motor­rad auf die linke Seite gekippt war. Jet­zt musste ich ern­sthaft darüber nach­denken, ob ich die Frau als Ver­sicherungs­be­trügerin anzeigen wollte oder nicht. Ich entsch­ied mich dage­gen. Zum einen, da ich nicht hun­dert­prozentig sich­er war, ob mich meine Erin­nerung nicht trügt und das Motor­rad vielle­icht doch auf der recht­en Seite gele­gen hat­te, zum anderen weil ich vielle­icht sel­ber auch mal froh wäre um etwas Grosszügigkeit.

Noch ein­mal unge­fähr zwei Wochen später erhielt ich einen eingeschriebe­nen Brief, der vom Briefträger als “Gericht­sak­ten” auf dem Abholschein ver­merkt war. Wie sich her­ausstellte, war er vom Stadtrichter­amt und er war mit “Straf­be­fehl” über­schrieben. Ich wurde “wegen ungenü­gen­dem Sich­erns der Ladung als Lenker eines Fahrrades, indem er am 26. Juni 2014, um 16:45, einen 5‑Liter-Kanis­ter Olivenöl auf dem Gepäck­träger trans­portierte, sich jedoch infolge ungenü­gen­der Sicherung die Ver­pack­ung öff­nen kon­nte und der Beu­tel mit dem Öl auf die Strasse fiel an der Verzwei­gung Hönggerrampe/Europabrück in Zürich 9. Durch ein vor­beifahren­des Auto wurde der Beu­tel beschädigt, sodass das Öl auf der Fahrbahn verteilt wurde. Ein anschliessend vor­beifahren­des Motor­rad ruschte auf der Ölspur au und kam zu Fall, wobei die Lenkerin leicht ver­let­zt wurde.” Deshalb wurde ich zu ein­er Busse von 200, Gebühren­pauschale von 250 und “aktenge­bun­dene Fotos” von 80, total 530 Franken verurteilt. “Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuld­haft nicht, tritt an deren Stelle eine unbe­d­ingte Ersatzfrei­heitsstrafe von 2 Tagen.”

Vie­len Dank, liebes Stadtrichter­amt. Das war sehr lehrre­ich. Ich werde daraus meine Kon­se­quen­zen ziehen, und sollte es je wieder zu ein­er solchen Sit­u­a­tion kom­men in meinem Leben, so werde ich den Teufel tun und die Polizei oder die Feuer­wehr alarmieren, son­dern ich werde mich dann still und heim­lich davon­machen, wohl wis­send, dass mir nie­mand etwas nach­weisen kön­nen wird.

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