Unsere Chefassistentin fragte im Sommer mal in der Belegschaft rum, ob jemand Interesse hätte an erstklassigem Olivenöl. Ein ehemaliger Mitarbeiter sei jetzt Olivenbauer in Griechenland und liefere gerne von seinem besten Öl an die früheren Kollegen. Die Idee gefiel mir, und ich bestellt fünf Liter davon. Dieses wurde ein paar Wochen später in einem Karton, der einen Plastiksack gefüllt mit dem Öl enthielt, geliefert. Das Geld hatte ich grade nicht dabei, die 80 Franken wollte ich in der darauffolgenden Woche bezahlen.
In diesem Sommer bin ich fast immer mit dem Velo zur Arbeit gefahren. Bei schlechtem Wetter auch mal mit dem Bus. An diesem Tag war aber schönes Wetter, und so schnallte ich nach getaner Arbeit den Olivenölkarton auf dem Gepäckträger meines Velos fest. Das ging ganz gut, der Karton hatte eine gute Grösse und die Gepäckträgerklappe drückte ziemlich gut gegen den Karton und hielt ihn gut fest, so dass ich mir keine Sorgen machte, dass das Ding herunterfallen könnte. Also machte ich mich guter Dinge auf den Weg.
Mein Heimweg führt mich von Altstetten über die Europabrücke hinüber nach Höngg. Die Europabrücke ist gut für Autos, Velos und Fussgänger vorbereitet, sie verfügt nämlich jeweils aussen über eine gute Rad-und-Fussgängerspur, die breit genug ist, sodass es keine Probleme gibt. Kurz vor der Mitte der Brücke gibt es zwei Ab- und Auffahrten. Da geht der Radweg kurz die paar Zentimeter runter auf Fahrbahnhöhe und dahinter wieder hoch auf Trottoirhöhe. Bei der zweiten Auffahrt passierte es.
Ich hörte ein “Plopp!” und mein Velo schwankte leicht. Sofort bremste ich, kam kurz danach ein paar Meter später auf dem Trottoir zum Stillstand und drehte mich um. Da sah ich, dass auf der Seite des Kartons der Kartondeckel sich geöffnet hatte und dass die Plastiktüte mit dem Öl herausgefallen war. Sie lag jetzt auf der Fahrbahn, nicht in der Mitte der Hauptfahrbahn, sondern am Rand der Auffahrt. Während ich vom Velo stieg, mich umdrehte und auf den am Boden liegenden Sack zumarschierte, um ihn aufzuheben, kam ein Auto die Auffahrt herangebraust, hielt kurz an, da die Auffahrt mit einem Stop signalisiert war, und schaute um sich, ob die Bahn frei sei. Ich war überzeugt, dass mich der Fahrer sah, dass er den Plastiksack auf dem Boden sah, und erkennen musste, dass ich daran war, den Plastiksack wieder aufheben zu wollen. Aber ich war noch nicht auf der Fahrbahn, als der Fahrer aufs Gaspedal drückte und, da sich anscheinend eine Lücke im Verkehr aufgetan hatte, auf die Brücke fuhr. Dabei überfuhr er den Plastiksack, der jetzt aufplatzte, worauf sich das ganze Olivenöl auf die Fahrbahn ergoss. Ich hätte in Tränen ausbrechen können und gleichzeitig fluchte ich auf den Idioten von stupidem Fahrer.
Jetzt war natürlich das Öl verloren. Ich trauerte den 80 Franken hinterher, die ich überhaupt erst noch zahlen musste, und schaute eine Weile auf das Öl, das sich in einer Lache sammelte. Bald fuhren weitere Autos die Auffahrt heran, stoppten, und reihten sich in den Verkehr ein. Dabei fiel mir auf, dass einige dieser Autos ihre liebe Mühe hatten, Fahrt aufzunehmen und zu beschleunigen. Bald verlief eine Ölspur vom ursprünglichen Fleck in zwei Reifenspuren etwa fünfzig Meter auf die Hauptfahrbahn auf der Brücke und in Richtung Höngg. Da wurde mir etwas unwohl und ich dachte mir, dass jetzt wohl jemand dieses Öl aufnehmen müsste und dass ich keine Ahnung hatte, wie man sowas tun müsste. Aber, so fiel mir ein, für so etwas gibt es doch die Ölwehr. Also wählte ich auf einem Handy die Notfallnummer 112 und sagte der Person am anderen Ende wo ich war und dass es hier eine Ölspur zu beseitigen gäbe. Man bedankte sich für die Meldung, bat mich, auf die Polizei zu warten, man schicke gleich eine Patroullie vorbei.
Gesagt, getan, ich lehnte mich also auf der Seite des Trottoirs ans Geländer und spielte auf meinem Handy mein Lieblingsspiel und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Immer wieder hörte ich Autos von der Auffahrt her über das Öl schleifen und dachte nur bei mir, Vorsicht, Leute, hier hat es Öl! Einmal kam eine Töfffahrerin die Auffahrt herauf, hielt am Stop, Fuhr an, und — Platsch! — lag sie auf dem Boden mit ihrem Töff. Immerhin war es noch früh genug, der Feierabendverkehr hatte noch nicht voll eingesetzt, es muss so kurz nach 16 Uhr gewesen sein. Sofort rannte ich zu ihr und half ihr, das ziemlich schwere Motorrad wieder aufzustellen und entschuldigte mich sofort bei ihr und erklärte, dass da Öl auf der Fahrbahn liege, dass sie wohl deswegen ausgerutscht sei, dass ich die Polizei schon alarmiert habe und nur darauf warte, dass eine Patroullie auftauche. Wir schoben ihr Motorrad an den Fahrbahnrand und sie blieb bei mir und wir begannen, zu zweit den Verkehr zu regeln, da mir bewusst geworden war, dass die Ölspur offensichtlich gefährlicher war, als ich dachte, und dass man die Verkehrsteilnehmer warnen musste. Ich stellte mich auf den äussersten Ausläufer der Ölspur und winkte den vorbeifahrenden Autos, das Tempo zu drosseln. Sie stellte sich auf die Auffahrt und warnte insbesondere alle Motorradfahrer vor dem Öl. Und so verbrachten wir ungefähr eine Viertelstunde, bis endlich ein Streifenwagen von Altstetten herkam und vor der Ölspur anhielt und gleich selber die Fahrbahn blockierte.
Zwei Polizisten stiegen aus, einer kam mit zwei Behältern mit Ölbindemitteln zu mir und meinte, naja, leider sei das alles, was er grade dabeihabe, das werde wohl nicht für das gesamte Öl auf der Fahrbahn reichen. Aber immerhin, er reichte mir eine der beiden Flaschen und wir streuten sie mal auf die gröbsten Ölflecken. Dann stellte er ein paar Pylonen um das Öl herum auf und meinte, am besten bestelle er gleich noch die Feuerwehr her, die könnten sich dann richtig um die Angelegenheit kümmern. Dann befragte er mich zum Hergang. Ich erklärte ihm, was passiert war. Er fragte, ich ich mir die Autonummer des Autos, das den Ölsack überfahren habe, gemerkt habe. Leider nein, musste ich zur Antwort geben, und verfluchte mich innerlich für meine Unaufmerksamkeit. Auch die Sache mit der stürzenden Motorradfahrerin erklärte ich ihm, wie ich es gesehen und erlebt hatte. Er bedankte sich bei mir und meinte, ich hätte mich vorbildlich verhalten. Es könnte sein, dass die Motorradfahrerin einen Schaden anmelde, ob ich eine Versicherung hätte. Natürlich, sagte ich, soweit ich wüsste, sei meine Privathaftpflicht auch für Velosachen zuständig. Ja, das sei richtig, meinte er.
Naja, jetzt waren die Profis am Werk und ich konnte nichts mehr tun. Der Polizist, der mich vernommen hatte, kam noch einmal zu mir und meinte, ich könne jetzt gehen, wenn ich wolle. Sie hätten meine Personalien, er werde einen Rapport schreiben. Dieser werde zu den entsprechenden Amtsstellen gehen (deren Bezeichnung ich mir nicht merken konnte), wo jemand aufgrund der Aktenlage entscheiden werde, ob ich noch gebüsst werden müsse oder nicht. Ob das der Fall sein werde, wisse er nicht, er fände es eigentlich nicht nötig, eben weil ich mich vorbildlich verhalten habe, aber das könne man nie wissen. Ausserdem könne es sein, dass die Motorradfahrerin einen Schaden anmelde, aber sie habe zu ihm gesagt, dass sie das wohl als Selbstunfall abbuchen werde. Es sei ja soweit nichts schlimmeres passiert.
Ich fuhr nach Hause und musste Zuhause erst mal ein Bier trinken auf die Aufregung hin.
Nun könnte die Geschichte eigentlich Zuende sein. Aber sie ist es noch nicht ganz. Zunächst einmal die Sache mit der Versicherung. Dazu muss ich sagen, die Versicherung war sehr zuvorkommend. Ungefähr zwei Wochen später erhielt ich die Rechnung von der Feuerwehr. Sie belief sich auf etwas unter 500 Franken. Ich war also sozusagen glimpflich davongekommen. Jetzt machte ich die Schadensmeldung an meine Privathaftpflichtversicherung. Sie bestätigte den Eingang der Schadensmeldung und vermeldete, dass sie dankbar seien um meine Meldung, jetzt könnten Sie auch den Schaden am Motorrad von Frau Meier (name geändert) zuordnen und erledigen. Ach? Dachte ich, hat sich die Motorradfahrerin doch noch gemeldet? Na gut, meinetwegen. Rein aus Neugierde fragte ich den Versicherungsberater per Email, ob er mir die Höhe des Schadens an Frau Meiers Motorrad nennen könne. Das seien um die 2000 Franken. Ach? Das fand ich denn doch etwas überraschend und fragte nach weiteren Details über den Schaden. Die Rechnung der Werkstatt habe er grade nicht zur Hand, aber die Fotos des Sachverständigen, die er mir gerne schicken könne. …und diese Fotos hatten es in sich. Ich war überrascht, zu sehen, dass da an Fussrasten und Lenkergriffen auf der rechten Seite massive Schleifspuren zu sehen waren. Ausserdem fiel mir auf, dass diese Schäden auf der rechten Seite des Motorrades waren. Und ich hätte schwören können, dass das Motorrad auf die linke Seite gekippt war. Jetzt musste ich ernsthaft darüber nachdenken, ob ich die Frau als Versicherungsbetrügerin anzeigen wollte oder nicht. Ich entschied mich dagegen. Zum einen, da ich nicht hundertprozentig sicher war, ob mich meine Erinnerung nicht trügt und das Motorrad vielleicht doch auf der rechten Seite gelegen hatte, zum anderen weil ich vielleicht selber auch mal froh wäre um etwas Grosszügigkeit.
Noch einmal ungefähr zwei Wochen später erhielt ich einen eingeschriebenen Brief, der vom Briefträger als “Gerichtsakten” auf dem Abholschein vermerkt war. Wie sich herausstellte, war er vom Stadtrichteramt und er war mit “Strafbefehl” überschrieben. Ich wurde “wegen ungenügendem Sicherns der Ladung als Lenker eines Fahrrades, indem er am 26. Juni 2014, um 16:45, einen 5‑Liter-Kanister Olivenöl auf dem Gepäckträger transportierte, sich jedoch infolge ungenügender Sicherung die Verpackung öffnen konnte und der Beutel mit dem Öl auf die Strasse fiel an der Verzweigung Hönggerrampe/Europabrück in Zürich 9. Durch ein vorbeifahrendes Auto wurde der Beutel beschädigt, sodass das Öl auf der Fahrbahn verteilt wurde. Ein anschliessend vorbeifahrendes Motorrad ruschte auf der Ölspur au und kam zu Fall, wobei die Lenkerin leicht verletzt wurde.” Deshalb wurde ich zu einer Busse von 200, Gebührenpauschale von 250 und “aktengebundene Fotos” von 80, total 530 Franken verurteilt. “Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, tritt an deren Stelle eine unbedingte Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen.”
Vielen Dank, liebes Stadtrichteramt. Das war sehr lehrreich. Ich werde daraus meine Konsequenzen ziehen, und sollte es je wieder zu einer solchen Situation kommen in meinem Leben, so werde ich den Teufel tun und die Polizei oder die Feuerwehr alarmieren, sondern ich werde mich dann still und heimlich davonmachen, wohl wissend, dass mir niemand etwas nachweisen können wird.