Seit Jahren kaufe ich regelmässig bei wish.com Billigware aus China ein. Da bin ich oft positiv überrascht. Natürlich kann man keine Top Qualität erwarten, aber unter den gegebenen Umständen kommt dann jeweils oft erstaunlich gute Ware an.
Jedenfalls fand ich im Wish-Katalog dieses mit dem Katalogtitel “Digital Bluetooth Hörhilfe USB Ladbar Tonverstärker Taub-Hilfe Audiphone Hinter-Ohr” versehene, im Bild als drahtloser Hörverstärker angepriesene Gerät.
Das ist doch vielversprechend, dachte ich mir, und bestellte mir zwei davon. Diese Dinger sollen also nicht nur den Umgebungsschall verstärken, wie es sich für Hörgeräte gehört, sondern sich auch per Bluetooth drahtlos mit dem Handy verbinden, um von dort Musik zu hören oder gar zu telefonieren. Ausserdem haben sie aufladbare Akkus, die sich per USB aufladen lassen.
Seit einem knappen Jahr weiss ich, dass mein Gehör nicht mehr das Beste ist. Die Ohrenärztin diagnostizierte eine Hörschwäche von ungefähr 25% auf beiden Ohren im höheren Frequenzbereich. Diese Hörschwäche sei im üblichen Rahmen für mein Alter, kurz vor 60. Sie empfahl mir deshalb ein angepasstes Hörgerat vom Hörgeräteakustiker. Es sei besser, mit einem Hörgerät gleich anzufangen als erst mit 80. Dann sei der Hörnerv bereits dermassen geschädigt, dass kaum noch etwas zu machen sei. Jetzt hingegen könne der Hörnerv noch darauf trainiert werden, den Mangel auszugleichen. Ausserdem sei es denkbar, dass mein Tinnitus sich dadurch abschwäche. Es sei nämlich möglich, dass ein Tinnitus auftrete, weil sonst um diese Frequenzen herum totale Stille herrscht.
Nun gut, ich folgte ihrem Ratschlag und liess mich von einem Hörgeräteakustiker beraten. Dieser erklärte mir, es gäbe Hörgeräte in vielen Qualitätsstufen und Preislagen. Das Teuerste sei ein Markengerät von Phonak für ungefähr 8000 Franken, das mit allem Schnickschnack wie aufladbaren Akkus und Bluetooth-Anschluss ans Handy ausgerüstet sei. Billigere Geräte würden mit austauschbaren Knopfzellen arbeiten und hätten keinen Bluetooth an Bord. Da mein Budget aktuell etwas knapp ist, beschränkte ich mich auf das, was mir die Versicherung vergütet. In der Schweiz bezahlt nämlich die Invalidenversicherung IV bis zu 1850 Franken an Hörgeräte. Ein Paar solcher Hörgeräte bekam ich dann auch, Marke Widex, mit denen ich auch ziemlich zufrieden bin.
Nun war ich gespannt auf die chinesischen Billig-Hörverstärker, insbesondere auf ihre Bluetooth-Fähigkeit. Doch schon vor der Bestellung war mir klar, dass ich logischerweise bei weitem nicht die Qualität und den Funktionsumfang eines Phonak-Gerätes erwarten durfte. Ich ging also davon aus, dass der Frequenzgang nur in engen Grenzen oder überhaupt nicht beeinflusst werden kann.
Gesagt getan, ich bestellt mir zwei Exemplare im Farbton beige und zwei Wochen später hatte ich sie in meinem Briefkasten. Der Preis war als 32.- statt 343.- pro Stück angegeben, wobei noch eine Versandgebühr von 12.- dazukommt. Insgesamt kosten zwei Stück also 88 Franken. Wenn man den offiziellen Katalogpreis nimmt, kämen zwei Stück auf 710.- zu stehen, aber diesen Preis zahlt vermutlich niemand. Wenn ich diesen Preis mit den Phonak-Geräten vergleiche, dann liegen Welten dazwischen. Sind es auch Welten in der Funktionalität?
Auspacken und erster Augenschein
Die Schachtel enthält:
- Hörverstärker komplett mit Ohrstück
- Hübsche Aufbewahrungsbox aus Kunststoff
- Austausch-Ohrabdichtungen in verschiedenen Grössen
- Reinigungspinsel
- Ladegerät mit US-Stecker (hier kann auch jedes andere Standard-Handy-Ladegerät verwendet werden)
- Ladekabel USB 2.0 zu Gerätestecker (hier kann auch jedes andere Standard-Android-Ladekabel verwendet werden)
- Englischsprachige Anleitung (User Guide)
Laut Anleitung soll man das Hörgerät vor der erste Inbetriebnahme erst einmal sechs Stunden lang aufladen. Die nächsten beiden Ladevorgänge soll man erst nach vollständer Entladung des Akkus vornehmen, und dann auch jeweils eine Vollladung durchführen. Der Akku habe eine Kapazität von 60 mAH und das Gerät soll eine kontinuierliche Laufzeit von 100 Stunden haben. Das entspricht bei einer Benutzungszeit von 16 Stunden pro Tag einer Betriebszeit von über 6 Tagen. Das ist im Vergleich zur Laufzeit meiner Widex Hörgeräte mit Knopfzellen von rund drei Tagen ein gutes Stück besser.
Nach den sechs Stunden Erstaufladung konnte ich die Geräte das erste Mal in Betrieb nehmen.
Betrieb als Hörverstärker
Die Anleitung weist darauf hin, dass man die Lautstärke beim Einschalten herunterdrehen soll, weil sonst Gefahr besteht, dass die ersten Höreindrücke zu laut sind. Für die Lautstärke haben die Geräte ein kontinuierliches Drehrad mit den Stellungen 0 bis 4. Beim ersten Herumspielen zeigt sich, dass ab ungefähr Position 2.5 das Gerät sehr stark zu Rückkopplungen und somit zum pfeifen neigt. Stellung 1 ist bereits ungefähr so stark wie meine Widex-Hörgeräte. Ich wunderte mich daher über die auf den ersten Blick überstarken Verstärkungsstufen. Doch diese erweisen sich durchaus noch als nützlich, wie wir später sehen werden.
Der normale Betrieb als Hörgerät sieht also so aus: Lautstärke auf Stufe 1 drehen, Hörgerät einschalten, aufs Ohr setzen, geniessen. Man kann es auch auf dem Ohr ein- und ausschalten, der Ein-Aus-Schiebeschalter lässt sich gut hinter dem Ohr ertasten und betätigen. Mit der Betätigung des Lautstärkerades ist allerdings Vorsicht geboten, weil es sich leicht höher drehen lässt, als man möchte — und dann kann es in den Ohren dröhnen.
Das Gerät funktioniert. Umgebungsgeräusche werden lauter und können dadurch leichter wahrgenommen werden. Nicht so toll hingegen ist das hörbare Rauschen. Ausserdem kann man den Frequenzgang nicht einstellen, und, ohne genauere Messungen vorgenommen zu haben, habe ich den Eindruck, dass der Frequenzgang nicht gerade HiFi-Qualität hat. Mein fast 60-jähriges Gehör hat daher den Eindruck, dass der Klang dieses Hörgerätes zwar lauter ist, aber röhrenmässig dumpf. Wenn ich mit meinen Widex-Hörgeräten vergleiche: Mit den Widex erhöht sich die Klarheit und Knackigkeit des Tons, mit diesem Fernost-Hörverstärker wird er eher dumpf, dafür lässt sich die Lautstärke viel stärker in die Höhe regeln als beim Widex.
Ich hatte zwei solche Geräte gekauft, um für das rechte und linke Ohr ausgerüstet zu sein. Das funktioniert gut. Rechts und Links so ein Hörverstärker aufgesetzt und rechts und links kann man die verstärkten Umgebungsgeräusche gut hören und wahrnehmen. Das deutlich hörbare Rauschen ist zwar nicht ideal, ist aber nicht so stark, dass es die Geräusche überdecken würde.
Die Verstärkung muss rechts und links separat eingestellt werden. Für eine gleichmässige Lautstärke muss man daher beim Drehen am Lautstärkeregler etwas Sorgfalt walten lassen. Zum Vergleich: Die Widex-Hörgeräte kommunizieren miteinander und stellen immer die gleiche Verstärkung ein, egal ob man die Lautstärke am rechten oder linken Ohr regelt. Das ist ein netter Vorteil, aber mit der getrennten Lautstärkeeinstellung der Hörverstärker kann man leben.
Passform
Leider verfüge ich nicht über eine Briefwaage, um das Gewicht der beiden Geräte vergleichen zu können, aber mein Eindruck ist, dass das rechte Gerät selbstverständlich ein gutes Stück schwerer ist als das linke, allerdings spielt das am Ohr keine Rolle, beide tragen gewichtsmässig nicht auf. Beide lassen sich so aufs Ohr aufsetzen, dass sie sich gut anfühlen und ziemlich gut anpassen.
Beim Widex entsteht der Hörschall am oberen Ende des Geräts und wird durch den klaren Schauch zum Ohrstück geleitet. Schlauch und Ohrstück lassen sich abnehmen. Es gibt sie in unterschiedlichen Längen und Grössen, so dass sich durch richtige Wahl eine optimale Passform erzielen lässt.
Beim chinesischen Hörverstärker entsteht der Hörschall im Ohrstück. Durch den klaren Schlauch führt ein elektrisches Kabel zum Lautsprecher im Ohrstück. Leider lässt sich der Schlauch nicht vom Hörgerät abnehmen, wie das beim Widex der Fall ist. Das Schlauchstück lässt sich deshalb nicht verkürzen oder verlängern. Immerhin lässt sich das Gummiteil am Ohrstück abnehmen. Unterschiedliche Grössen dieses Gummiteils liegen dem Gerät bei. Diese Anpassung kann der Benutzer also selber problemlos vornehmen. Auch lässt sich das Ohrstück am Gummischlauch etwas drehen, sodass es so eingestellt werden kann, dass man es gut am rechten oder am linken Ohr benutzen kann. Für mein Ohr ist der Schlauch etwas lang, dafür fühlt sich die Gummidichtung im Ohr gut an und sitzt angenehm genug. Es ist gut, wenn man das Ohrstück fest ins Ohr drückt, damit es gut dichtet und während der Benutzung kein Umgebungsschall um das Hörstück herum ins Ohr gelangt.
Wegen des dickeren und längeren Schlauchs ist der Hörverstärker von Vorne deutlicher sichtbar, der zudem noch leicht über das Ohr des Trägers hinausragt. Zum Vergleich: Durch den dünneren Schlauch des Widex, das zudem vollständig hinter dem Ohr des Trägers verschwindet, ist dieses unauffällig. Schon mehrfach habe ich von einem Gegenüber gesagt bekommen, dass er überhaupt nicht wahrgenommen hätte, dass ich Hörgeräte trage. Der Hörverstärker wird hingegen rascher erkannt.
Bluetooth
Die Bluetooth-Koppelung mit dem Handy war so unkompliziert, wie man es heutzutage erwarten kann. Man drückt drei Sekunden lang den entsprechenden Knopf am Hörgerät (er ist mit “M” beschriftet, ich vermute, das steht für “Mobilgerät”), schaut aufs Handy, tippt das erscheinende Gerät “ZTQ” an und führt eine Koppelung durch. Schon ist es verbunden und aktiv.
Jetzt kann man auf dem Handy Musik abspielen, und die Musik erklingt im aktiven Hörverstärker. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, was das heisst.
Wenn die Musik ausgeschaltet wird, hört man wieder nur noch die verstärkten Umgebungsgeräusche, der Hörverstärker geht also zurück auf Hörverstärkerfunktion.
Wenn ein Anruf auf das Handy eingeht, kann er durch Drücken des M‑Knopfs angenommen werden. Die Stimme des Anrufes erklingt dann im aktiven Ohr.
Bloss leider erklingen weder Musik noch Anruf in beiden Ohren.
Die beiden Hörverstärker kommunizieren nicht miteinander und nicht gleichzeitig mit dem Handy. Es lassen sich zwar beide mit dem Handy koppeln, aber es lässt sich zu jedem Zeitpunkt nur einer von beiden aktivieren. Dies bedeutet, dass die Tonübertragung vom Handy nur auf den gerade aktiven Hörverstärker erfolgt. Man kann also per Aktivierung des einen oder anderen gekoppelten Hörverstärkers auf dem Handy entscheiden, ob die Tonübertragung auf das linke oder das rechte Ohr erfolgt. Das ist sehr schade und trübt das Bluetooth-Hörvergnügen deutlich.
Dafür erweist sich jetzt die Breite der Lautstärkeeinstellung als Vorteil. Musik oder ein Gesprächspartner kommt deutlich besser ins Ohr, wenn die Verstärkung für diesen Zweck erhöht wird.
Bei aktiver Koppelung mit dem Handy und ohne aktive Tonübertragung ist leider ein schwaches, aber trotzdem störendes regelmässiges kurzes Fiepen zu hören. Dieses ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Bluetooth-Verbindung zum Handy kontinuierlich aufrechterhalten wird, um jederzeit einsatzbereit zu sein. Wenn die Bluetooth-Funktion ausgeschaltet wird, indem man drei Sekunden lang auf den “M”-Knopf drückt, dann verschwindet auch das Fiepen wieder.
Fazit
Dieser Hörverstärker ist für seinen Preis unschlagbar, wenn er auch nicht auf das individuelle Gehör eingestellt werden kann, etwas stark rauscht, und Bluetooth nur auf einem Ohr aktiviert werden kann. Dafür ist die lange Laufzeit sehr positiv zu erwähnen, wie auch die grosse Breite der einstellbaren Lautstärke. Als günstiger Einstieg in verstärktes Umgebungshören sehr gut geeignet, für besondere Hörbedürfnisse sowie als Bluetooth-Gerät weniger. Der Hersteller sollte unbedingt seine Hausaufgaben machen und die Paarkopplung zweier Geräte gleichzeitig ermöglichen, wie das beispielsweise bei AirPods von Apple seit Jahren geht. Den Katalogpreis von 343.- wäre der Hörverstärker nicht wert, aber über das Angebot von 32.- lässt sich nicht meckern.